06.06.2025 | Dokumente

Tagesaktuelles Plenarprotokoll 21/11

 

**** NACH § 117 GOBT AUTORISIERTE FASSUNG ****

*** bis 11.40 Uhr *** 

 

Deutscher Bundestag

 

11. Sitzung

Berlin, Freitag, den 6. Juni 2025

Beginn: 9.00 Uhr

 

Präsidentin Julia Klöckner:

Guten Morgen zusammen! Die Sitzung ist hiermit eröffnet. 

Ich rufe auf den Tagesordnungspunkt 22 sowie den Zusatzpunkt 9:

 

22.

 

Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Aussetzung des Familiennachzugs zu subsidiär Schutzberechtigten

Drucksache 21/321

Überweisungsvorschlag:

Innenausschuss (f)

Auswärtiger Ausschuss

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz

Ausschuss für Wirtschaft und Energie

Ausschuss für Arbeit und Soziales

Ausschuss für Bildung, Familie, Senioren, Frauen und Jugend

Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe

Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung

Haushaltsausschuss gemäß § 96 der GO

 

ZP 9

 

Beratung des Antrags der Abgeordneten Clara Bünger, Anne-Mieke Bremer, Katrin Fey, weiterer Abgeordneter und der Fraktion Die Linke

Familiennachzug zu Schutzbedürftigen erleichtern statt aussetzen

Drucksache 21/349 

Überweisungsvorschlag:

Innenausschuss (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz

Ausschuss für Bildung, Familie, Senioren, Frauen und Jugend

Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe

Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

 

Für die Aussprache wurde eine Dauer von 60 Minuten vereinbart.

Ich eröffne hiermit die Aussprache. Das Wort hat für die Bundesregierung der Bundesminister Alexander Dobrindt. 

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Alexander Dobrindt, Bundesminister des Innern: 

Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Frau Präsidentin! Die illegale Migration ist nicht nur in Deutschland ein bestimmendes Thema, sondern auch in unseren Nachbarländern. Egal ob in Frankreich, in Österreich, in Tschechien, in Polen - eigentlich überall in der Europäischen Union ist die illegale Migration eine der großen Herausforderungen. Deswegen muss man deutlich sagen: Die Lösung des Problems der illegalen Migration ist kein nationales Thema. Es ist ein europäisches Thema, und es ist von uns aus mit zu begleiten. 

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Deswegen kann man auch sagen, dass die Frage der illegalen Migration nicht allein national zu beantworten ist. 

(Filiz Polat (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sie machen sie doch illegal, indem Sie den Familiennachzug aussetzen!)

Man muss sie gleichermaßen national und europäisch beantworten, und genau das tut diese Bundesregierung. 

Da ich heute früh schon wieder den Vorwurf gelesen habe, es ginge hier um nationale Alleingänge: Nein, ein nationaler Alleingang ist doch nicht, dass wir die illegale Migration angehen. 

(Filiz Polat (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Zur Sache, Herr Dobrindt! Zur Sache!)

Ein nationaler Alleingang wäre doch, wenn wir uns einer Lösung verweigern, wie Sie es tun, meine Damen und Herren. 

(Beifall bei der CDU/CSU)

Wir arbeiten mit einer Zwei-Säulen-Strategie zur Bekämpfung der illegalen Migration, eben mit einer europäischen und einer nationalen Säule. Die europäische Säule umfasst die Umsetzung und das Nachschärfen des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems, die Abschaffung des sogenannten Verbindungselements von Drittstaaten, eine gemeinsame europäische Rückführungsverordnung und, ja, die Einrichtung von europäischen Asylzentren an den Außengrenzen der Europäischen Union. Daneben gibt es auch eine nationale Säule. Sie umfasst die Abschaffung der Turbo-Einbürgerung, die Festlegung sicherer Herkunftsstaaten, die Abschaffung des Pflichtbeistands in der Abschiebehaft, einen Arrest für Straftäter und Gefährder. Ja, Grenzkontrollen zur Zurückweisung gehören auch dazu und, was heute auf der Tagesordnung steht: die Aussetzung des Familiennachzugs und die Wiederaufnahme des Wortes „Begrenzung“ ins Aufenthaltsgesetz.

(Zuruf von der AfD: AfD wirkt, würde ich sagen!)

Das sind notwendige nationale Maßnahmen, meine Damen und Herren. 

(Beifall bei der CDU/CSU)

Es gibt, um auch das klar zu sagen, keinen Hebel, nicht einen einzigen Schalter, den man umlegen kann, und dann ist das Problem der illegalen Migration gelöst. Die Lösung beim Zurückdrängen der illegalen Migration ist vielmehr die Summe vieler Einzelmaßnahmen - viele Einzelmaßnahmen, einzelne Schritte, die wir auch Zug um Zug gehen wollen. Der Grund, warum wir das gemeinsam tun wollen, ist: Die Integrationsfähigkeit eines Landes, auch unseres Landes, hat schlichtweg eine Grenze. Wenn Sie mit Bürgermeistern und Landräten reden, bekommen Sie immer wieder die gleiche Antwort: Unsere Städte, unsere Gemeinden, unsere Landkreise sind schlicht am Limit.

(Beifall bei Abgeordneten der AfD)

Schulen, Kitas, Wohnungsmarkt, der Sozialstaat, das Gesundheitswesen - die Überforderung ist an vielen Stellen sehr konkret. Deutschland ist ein weltoffenes Land und bleibt ein weltoffenes Land. Ja, legale Migration in den Arbeitsmarkt, wir wollen sie, wir fördern sie. Aber klar muss auch sein: Die illegale Migration hat eine Grenze, und die Integrationsfähigkeit unseres Landes ist erreicht. Deswegen müssen wir die illegale Migration zurückdrängen.

(Beifall bei der CDU/CSU - Filiz Polat (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wie oft kommt das Wort denn noch vor?)

Entscheidend dabei ist, dass wir die Pullfaktoren abbauen. Die Magnetwirkung Deutschlands für illegale Migration ist schlichtweg zu hoch.

(Filiz Polat (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Also, Herr Dobrindt!)

Dazu gehört auch das Aussetzen des Familiennachzugs. Diese Maßnahme wirkt übrigens in zwei Richtungen. Zum einen wirkt sie direkt, weil 12 000 Menschen weniger jedes Jahr nach Deutschland nachziehen werden. Zum anderen wirkt sie, weil die Logik der Schleuserbanden, die da lautet: „Einer muss es nach Deutschland schaffen; dann kann die Familie nachziehen“, schlichtweg durchbrochen wird. 

(Clara Bünger (Die Linke): Aber das ist doch ein legaler Weg, der Familiennachzug!)

Es muss doch in unserem Interesse liegen, die kriminellen Schleuserbanden, die die Migranten auf die Reise schicken gegen Bezahlung von vielen Tausend Euro, zu zerstören, damit wir die illegale Migration in den Griff kriegen. 

(Beifall bei der CDU/CSU - Dr. Irene Mihalic (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Je weniger legale Wege, desto mehr verdienen sich die Schleuser eine goldene Nase!)

Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf bringen wir auch den Begriff der Begrenzung von Migration wieder ins Aufenthaltsgesetz. Das ist ein wichtiges Signal, weil es deutlich macht, dass Steuerung und Begrenzung von Migration an dieser Stelle unsere gemeinsamen Aufgaben sind. Und die aktuellen Zahlen, meine Damen und Herren, beweisen doch, dass wir mit unseren Maßnahmen - mit denen der Gegenwart, aber auch mit denen der letzten Monate - Erfolg haben. Die Maßnahmen zeigen Wirkung. Das kann man an den Zahlen sehen. Seit Beginn der Grenzkontrollen 

(Katrin Fey (Die Linke): Familiennachzug!)

erleben wir einen Rückgang der Asylzahlen - in diesem Monat noch einmal deutlicher. Wir haben eine Steigerung der Zahl der Zurückweisungen an den Grenzen von über 40 Prozent. Und um auch diese Zahlen zu erwähnen: Wir haben seit September, seit Einführung der Grenzkontrollen in der letzten Wahlperiode, über 1 000 Schleuser festgestellt, über 6 000 Haftbefehle vollstreckt, und wir hatten über 24 000 Zurückweisungen.

(Filiz Polat (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Minister, können Sie mal zur Sache reden? Wir reden hier über Familiennachzug!)

Das zeigt doch: Die Grenzkontrollen wirken, und deswegen setzen wir sie weiter fort. 

(Beifall bei der CDU/CSU - Christian Görke (Die Linke): Aber ihr seid noch eine Koalition, ja?)

Ich möchte an dieser Stelle auch ausdrücklich Danke sagen an all diejenigen, die jeden Tag ihren Dienst verrichten, an die Polizistinnen und Polizisten,

(Filiz Polat (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Was hat das mit Familiennachzug zu tun?)

die jeden Tag einen wesentlichen Beitrag für unsere Sicherheit leisten. 

(Filiz Polat (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das hat doch mit Familiennachzug nichts zu tun! - Zuruf von der Linken: Thema verfehlt!)

Deswegen, meine Damen und Herren: Es braucht größten Respekt und Anerkennung für das, was jeden Tag von unseren Polizistinnen und Polizisten auch an der Grenze geleistet wird. 

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Um auch das zu sagen: Die Binnengrenzkontrollen müssen eine zeitlich befristete Maßnahme sein, ganz selbstverständlich. Wir haben ein Ziel in Europa: Der Außengrenzschutz muss funktionieren. 

(Filiz Polat (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Da ist ja sogar die Unionsfraktion irritiert!)

Das haben wir in Europa vereinbart. Und wenn dieser Außengrenzschutz funktioniert, dann braucht man auch keine Binnengrenzkontrollen mehr. Aber solange das nicht der Fall ist, müssen Binnengrenzkontrollen eine Aufgabe übernehmen, die an den Außengrenzen nicht stattfindet.

(Clara Bünger (Die Linke): Was hat das mit Familiennachzug zu tun, Herr Dobrindt?)

Und für mich gilt: Grenzkontrollen und grenzüberschreitende Kooperation, das gehört zusammen. Zurückweisungen und Zusammenarbeit mit den Partnern, das ist unser Motto.

(Beifall bei der CDU/CSU - Dr. Bernd Baumann (AfD): Warum klatscht die SPD denn nicht? - Katrin Fey (Die Linke): Familien gehören zusammen!)

Lassen Sie mich abschließend noch ein Thema ansprechen.

(Katharina Dröge (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ist Ihnen das Gesetz, das Sie einbringen, so peinlich, dass Sie nicht drüber reden wollen?)

Ich habe in den vergangenen Tagen sehr viel und sehr oft über einen Beschluss des Verwaltungsgerichts Berlin gesprochen. Aber, meine Damen und Herren, was an dieser Stelle schlichtweg nicht geht, auch wenn man an Entscheidungen von Gerichten durchaus Kritik äußern darf: Was definitiv nicht geht, ist, dass Kritik in Form von Gewaltandrohungen, von Drohungen gegenüber Richterinnen und Richtern, von Einschüchterungen stattfindet. Es gehört nicht zu unserem demokratischen Prinzip, Richtern gegenüber Drohungen auszusprechen. Dagegen wehren wir uns, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der Linken)

Präsidentin Julia Klöckner:

Das Wort für die AfD-Fraktion hat nun Herr Abgeordneter Dr. Bernd Baumann.

(Beifall bei der AfD)

Dr. Bernd Baumann (AfD): 

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Bei der Bundestagswahl kannten die meisten Wähler nur ein Thema: endlich, endlich die strikte Begrenzung der Migration.

(Clara Bünger (Die Linke): Sie kennen ja auch nur ein Thema!)

All die vielen Morde, Messerattentate, Vergewaltigungen, Clans, der islamistische Terror, die explodierende Gewaltkriminalität, Parallelgesellschaften und millionenfache Einwanderung in unseren Sozialstaat! Die Bürger wollten endlich Abhilfe - zu Recht, meine Damen und Herren!

(Beifall bei der AfD)

Damit Millionen Wähler ihr Kreuz bei CDU und CSU machen, versprach Friedrich Merz genau diese Migrationswende um 180 Grad. Er übernahm dafür alle unsere Programmpunkte, von der Zurückweisung aller Asylmigranten an der Grenze bis hin zur Beendigung des Familiennachzugs. Er versprach das nicht nur; er gab eine Garantie. Er sagte wörtlich: „Ich gebe“ Ihnen „die Garantie […]“, also sein Ehrenwort. 

Heute legt die Koalition ihren ersten Gesetzentwurf vor. Das Gesetz soll die Beendigung des Familiennachzugs umsetzen; Herr Dobrindt hat das gerade noch mal genauso bezeichnet. Aber schon das erste Gesetz ist durch und durch eine Mogelpackung, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der AfD)

Dabei geht es um riesige Zahlen. Zusätzlich zu den Asylanten, die jedes Jahr ins Land kommen - 240 000 -, kommen noch mal 120 000 weitere Migranten über den Familiennachzug hinzu, jedes Jahr. Dieser Familiennachzug verschärft zusätzlich die Integrationsprobleme. Daher war und ist er auch ein Konjunkturprogramm für Clans und Großfamilien. Führende Integrationsforscher hierzulande wie Necla Kelek, die selbst aus dem Orient stammt, warnen - ich zitiere -:

„Familie heißt in orientalisch-muslimischen Gesellschaften die Großfamilie […]. Mit dem Familiennachzug importieren wir ein islamisches Familiensystem, das […] zu Parallelgesellschaften […] führt.“

(Filiz Polat (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): „Ein islamisches Familiensystem“! Was ist das denn?)

Und diese können wir halt nicht mehr integrieren.

Tatsächlich ist die Zahl der syrischen Clans in Deutschland explodiert

(Filiz Polat (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wissen Sie eigentlich, wie viele syrischstämmige Kollegen hier im Bundestag sitzen?)

und mit ihnen Gewaltkriminalität und Angst in unseren Städten, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der AfD)

Diese Großfamilien hat vor allem die CDU nach Deutschland geholt, die Merkel-Regierung. Diesen ganzen Nachzugswahnsinn hat die CDU zu verantworten, und die links-grüne Ampel hat ihn weitergemacht. Die einzige Partei in der Opposition, die von vornherein dagegen war und die Wahrheit ausgesprochen hat, das war die AfD, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der AfD)

Schauen wir uns den heute vorliegenden Gesetzentwurf noch mal etwas genauer an. Er wurde ja pompös angekündigt. Herr Minister Dobrindt hat es heute Morgen noch mal klargemacht: „Beendigung des Familiennachzugs“, so hat er es genannt. Auch im Wahlprogramm der CDU, millionenfach verteilt, steht fett gedruckt: „Kein Nachzug mehr.“ Und was macht dieser Gesetzentwurf? Von den 120 000 Migranten, die jedes Jahr über Familiennachzug nach Deutschland strömen, nimmt er überhaupt nur 10 Prozent in den Blick. Nur 10 Prozent! Nur 12 000 Personen fallen darunter, die sogenannten Subsidiären. Selbst für diese 12 000 wird der Familiennachzug nicht beendet oder aufgehoben, sondern nur aufgeschoben um zwei Jahre. Das ist alles. Und das Ganze verkauft die Union, verkauft Minister Dobrindt jetzt als „Aussetzung des Familiennachzugs“ - so vorgestern gegenüber der Presse vor dem Innenausschuss; ich stand daneben. Soeben haben Sie es hier am Pult noch mal gemacht. Kaum je ist versucht worden, die Wähler so zu täuschen und hinters Licht zu führen, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der AfD)

Was die Sache noch schlimmer macht: Das identische Gesetz, also zwei Jahre Aussetzung des Familiennachzugs für Subsidiäre, hatte die Merkel-Regierung schon mal gemacht für die Jahre 2016 und 2018. Das damalige Gesetz hatte praktisch identischen Wortlaut. Es hatte null Effekt, war absolut wirkungslos. Hier schon hatte die Union die Migrationswende nur vorgetäuscht, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der AfD - Alexander Hoffmann (CDU/CSU): Sie erzählen eine Geschichte, Herr Baumann! Ein Geschichtenerzähler sind Sie!)

Herr Dobrindt, Sie waren damals Minister unter Merkel. Sie waren Teil der Merkel-Regierung. Sie haben dieses Gesetz schon mal verabschiedet. Deshalb wissen Sie genau, wie wirkungslos es war. Und so etwas setzen Sie uns heute noch mal vor?

(Alexander Hoffmann (CDU/CSU): Märchenstunde!)

Was für eine Frechheit!

(Beifall bei der AfD)

Und noch etwas:

(Alexander Hoffmann (CDU/CSU): Baumanns Erzählungen sind das!)

Jedes Gesetz, das den Familiennachzug begrenzen will, kann nur Wirkung entfalten, wenn an der Grenze wirklich zurückgewiesen wird, wenn alle Asylmigranten zurückgewiesen werden, und nicht Leute über die Grenze kommen nur mit dem Wort „Asyl“. Denn solange das weiter möglich ist, können ja auch alle Familienmitglieder über die offene Grenze kommen. Was nutzt es, den Familiennachzug gesetzlich zu begrenzen, wenn jeder über die Grenze kommen kann?

(Alexander Hoffmann (CDU/CSU): Geschichten! Geschichten, die Sie hier erzählen!)

Also: Ohne echte Zurückweisung aller Asylmigranten ist jedes Gesetz zur Begrenzung des Familiennachzugs Makulatur, Augenwischerei

(Alexander Hoffmann (CDU/CSU): Baumanns Erzählungen!)

und üble Wählertäuschung.

(Beifall bei der AfD - Alexander Hoffmann (CDU/CSU): Baumanns Erzählungen!)

Die entscheidende Frage ist also, auch für den Familiennachzug: Wie sieht es heute an unseren Grenzen aus? Auch da hören wir dröhnende Paukenschläge verbaler Art von CDU und CSU. Die neue Regierung habe eine „180-Grad-Wende“ hingelegt, so Markus Söder.

(Alexander Hoffmann (CDU/CSU): Allerdings!)

Söder fabuliert von einem „Schutzwall“, den die Regierung jetzt errichtet habe,

(Alexander Hoffmann (CDU/CSU): Das passt Ihnen natürlich nicht!)

einem Schutzwall in zwei Verteidigungslinien.

(Alexander Hoffmann (CDU/CSU): Ihr Thema fällt in sich zusammen!)

Da soll man wohl an die Maginot-Linie denken oder den Westwall. Was für ein Unsinn, meine Damen und Herren!

(Beifall bei der AfD)

Wenn man sich die Situation an der Grenze genauer anschaut, dann sieht man: Dieser CDU-Schutzwall ist nicht viel wirkungsvoller als ein Gartenzaun. Das zeigen alle Zahlen.

(Alexander Hoffmann (CDU/CSU): Wieder erzählen Sie Geschichten! Geschichten, Herr Baumann!)

Schauen wir doch mal rein! Die Statistiken des BAMF sind eindeutig. Im gerade abgelaufenen ersten Monat Ihrer großen Grenzkontrollen und angeblich kompletten Zurückweisungen wurden insgesamt 8 000 neue Asylanträge in Deutschland gestellt. Und wie viele Asylbewerber wurden im gleichen Zeitraum von Ihnen an der Grenze zurückgewiesen? Wie viele Asylbewerber? 8 000 Migranten - und Sie haben zurückgewiesen 141.

(Filiz Polat (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Es ist rechtswidrig!)

8 000 Asylmigranten, 141 Zurückweisungen! Das sind nicht mal 2 Prozent. Menschen, die Asyl wollen, können praktisch weiter rein, zu über 98 Prozent.

(Zuruf der Abg. Violetta Bock (Die Linke))

Unsere Grenzen sind weiter offen wie Scheunentore. Das ist die Wahrheit in Deutschland, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der AfD)

Auch die übrigen Versprechen von Friedrich Merz und Alexander Dobrindt sind nichts wert. Abschaffung der doppelten Staatsbürgerschaft: Versprochen in allen Wahlflyern, in allen Reden - nichts davon jetzt! Beendigung aller freiwilligen Aufnahmeprogramme für Migranten: nichts davon! Gerade eben lassen CDU-Minister, lassen Sie, Herr Dobrindt, 2 500 Afghanen einfliegen. Was für ein Wortbruch! Das ganze Gerede von der 180-Grad-Wende ist Schall und Rauch.

(Beifall bei der AfD - Alexander Hoffmann (CDU/CSU): Wieder eine Geschichte, Herr Baumann!)

Was ist die Situation in Deutschland? Deutschland 

(Alexander Hoffmann (CDU/CSU): Wieder eine Geschichte, Herr Baumann! Sie erzählen Käse hier, nichts anderes, weil Ihnen nichts anderes mehr einfällt!)

- ich weiß ja, dass Sie das schmerzt; einer muss ja hier die Wahrheit sagen,

(Alexander Hoffmann (CDU/CSU): Ja, genau! Baumanns Erzählungen! Märchenonkel!)

das machen wir seit acht Jahren - hat zwei große Probleme: Das eine heißt CDU,

(Zuruf der Abg. Katrin Fey (Die Linke))

und das andere heißt SPD. Die SPD will nicht, und die CDU kann nicht. Das ist das Problem.

(Beifall bei der AfD - Stefan Schwartze (SPD): Sie dürfen bald nicht mehr!)

Die CDU will immer nur eines: Die CDU will an die Macht, wie auch immer. Sie will Kanzlerschaft, Ministersessel, Staatssekretäre und unzählige Chef- und Direktorenpöstchen. Dafür nimmt Friedrich Merz, dafür nehmen Sie praktisch alles in Kauf. 

(Katrin Fey (Die Linke): Sie doch auch!)

Dass man eine echte Migrationswende mit der SPD gar nicht machen kann, das nehmen Sie in Kauf. SPD-Chef Klingbeil hatte doch vor der Wahl und nach der Wahl eindrücklich gesagt: Mit der SPD gibt es keine echten Zurückweisungen an der Grenze. - Er hat das als rote Linie definiert. Die Signale der SPD hätten von vornherein gar nicht deutlicher sein können.

Es kann mit diesen links-grünen Ideologen keine wirkliche Migrationswende geben, meine Damen und Herren - das muss jeder in Deutschland wissen -,

(Beifall bei der AfD)

und es wird sie auch nicht geben. Das hat die neue stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, Sonja Eichwede, eine Richterin, im Vorstand der SPD zuständig für dieses Thema, 

(Dr. Wiebke Esdar (SPD): Gute Frau!)

gerade bestätigt. Im Parteiorgan „Vorwärts“ hat sie noch mal gegenüber allen Parteimitgliedern am Wochenende unmissverständlich klargestellt - ich zitiere -: Es gibt keine Wende in der deutschen Migrationspolitik. - So definiert es der Vizekanzler, und so definiert es die SPD: keine wirkliche Migrationswende in Deutschland. Das ist die Wahrheit in Deutschland, das ist die Wahrheit an den Grenzen, und das müssen die Bürger wissen.

(Beifall bei der AfD)

Meine Damen und Herren, man kann es so ausdrücken: Die SPD will nicht, die CDU kann nicht. Eine echte Migrationswende, die das Volk so ersehnt,

(Christian Görke (Die Linke): Schon wieder! - Clara Bünger (Die Linke): Immer die gleiche Leier, Herr Baumann! Ist ja langweilig!)

kann es nur mit der AfD geben.

(Beifall bei der AfD - Jens Spahn (CDU/CSU): Ja, ja!)

Dafür haben die Wähler uns hier bereits verdoppelt. - Liebe Wähler, verdoppelt uns noch mal! 

(Beifall bei der AfD)

Präsidentin Julia Klöckner:

Die Zeit verdopple ich Ihnen nicht. 

Dr. Bernd Baumann (AfD): 

Dann werden die Probleme in Deutschland gelöst werden.

Präsidentin Julia Klöckner:

Bitte kommen Sie zum Ende.

Dr. Bernd Baumann (AfD): 

Vielen Dank.

(Beifall bei der AfD)

Präsidentin Julia Klöckner:

Für die SPD-Fraktion hat nun die Abgeordnete Frau Rasha Nasr das Wort. - Bitte sehr. 

(Beifall bei der SPD)

Rasha Nasr (SPD): 

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Werte Kolleginnen und Kollegen! Herr Baumann, nachdem Sie jetzt Ihre Rassismus-Bingokarte vollgemacht haben, vielleicht einen Hinweis: Deutschland hat genau ein riesiges Problem, und das ist die AfD. Deswegen werden wir weiter dafür kämpfen, dass Sie hier bald nichts mehr zu sagen haben.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Linken sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU - Martin Hess (AfD): Wenn das so ist, wird das Problem immer größer werden, solange Sie so agieren!)

Wir sprechen heute über die Aussetzung des Familiennachzugs für subsidiär Schutzberechtigte, eine Regelung, die als Teil eines größeren Kompromisses getroffen wurde. Ich weiß aus eigener Erfahrung, wie schwierig solche Verhandlungen sein können, wie viel Abwägung, Geduld und Verantwortung darin steckt, in einer Koalition tragfähige Lösungen zu finden. 

Ich möchte vorweg sagen: Ich habe Respekt vor dem Ergebnis dieses Prozesses. Es ist Ausdruck dessen, was politisch möglich war - unter schwierigen Rahmenbedingungen, in einem herausfordernden politischen Klima. Und doch bleibt es mir wichtig, auch zur Sprache zu bringen, welche Folgen ein solcher Kompromiss für die betroffenen Menschen hat. Denn es geht hier nicht um abstrakte Regelungen. Es geht um Familien, die auf lange Zeit voneinander getrennt bleiben, um Kinder, die ohne ihre Eltern in einem fremden Land zurechtkommen müssen, um Ehepartner, die sich nicht sicher sein können, wann sie wieder vereint sein werden. Solche Situationen hinterlassen Spuren - bei den Menschen selbst, aber auch in unserer Gesellschaft. 

Bei meiner Arbeit als Integrationsbeauftragte habe ich immer wieder erlebt, wie herausfordernd es ist, sich in einem neuen Land zurechtzufinden - besonders dann, wenn die Familie fehlt -, wie schwer es ist, sich einzuleben, wenn das Herz bei den Zurückgelassenen ist. Und ich habe gesehen, wie Integration gelingt, wenn Familien wieder zusammenkommen, wie Menschen aufblühen, zur Ruhe kommen und anfangen, sich einzubringen. Das hat mich in meiner Überzeugung bestärkt: Der Familiennachzug ist kein Randthema; er ist wesentlicher Baustein für gelingende Integration. Gleichzeitig weiß ich, dass nicht alle Fragen einfach zu lösen sind, dass Steuerbarkeit, Kapazitäten und gesellschaftliche Akzeptanz mitbedacht werden müssen. Aber ich glaube auch: Gerade weil wir Verantwortung für das Ganze tragen. sollten und müssen wir bereit sein, über Härten offen zu sprechen und zu prüfen, wo wir nachsteuern können. 

Die vorgesehene Härtefallregelung ist in diesem Zusammenhang ein wichtiger Baustein. Sie schafft die Möglichkeit, in besonders belastenden Situationen flexibel und menschlich zu handeln. Entscheidend wird sein, dass diese Möglichkeit auch tatsächlich genutzt werden kann und nicht an zu hohen Hürden scheitert. Dafür braucht es pragmatische Verfahren, klare Zuständigkeiten und eine sensible Anwendung im Einzelfall. 

(Zuruf der Abg. Beatrix von Storch (AfD))

Ich weiß, dass es bei migrationspolitischen Fragen auch immer um Abwägung geht, zwischen Humanität, Ordnung und Integrationsfähigkeit. Und ich bin überzeugt: Diese Prinzipien schließen einander nicht aus. Im Gegenteil: Sie können und sollten miteinander verbunden werden. Denn wir brauchen beides: klare Regeln und verlässliche Strukturen und die Bereitschaft, individuelle Lebenslagen wahrzunehmen und angemessen darauf zu reagieren.

Ich wünsche mir, dass wir diesen Kompromiss nicht als Endpunkt sehen, sondern als Teil eines Weges, den wir weiter gemeinsam gestalten - mit dem Ziel, Integration zu ermöglichen, Familien zu stärken und Menschen in unserem Land eine Perspektive zu geben. Denn am Ende geht es darum, wie wir unser Land sehen: als eines, das Schutz gewährt und gleichzeitig das familiäre Zusammenleben als Teil dieses Schutzes begreift? Ich werde immer dafür kämpfen, dass unsere Antwort darauf Ja ist, mit Verantwortungsbewusstsein, mit Dialogbereitschaft und mit dem nötigen Blick fürs Ganze.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Präsidentin Julia Klöckner:

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun Schahina Gambir das Wort. Bitte sehr.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 

Schahina Gambir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): 

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Gesetzentwurf, den die Bundesregierung heute vorlegt, hat dramatische Folgen für das Leben vieler Familien. Familien, die vor Krieg und Verfolgung geflohen sind. 

(Beatrix von Storch (AfD): Das ist klar!)

All diese Familien leben in Ihren Wahlkreisen, auch in meinem. 

Dort habe ich zum Beispiel einen Vater und seine zwei Kinder kennengelernt. Sie sind vor Jahren aus Syrien geflohen. Auf der Flucht wurden sie von der Mutter und dem jüngsten Kind getrennt. Seitdem ist die Familie zerrissen. Die Eltern müssen ihre Kinder jeweils alleine großziehen, ohne zu wissen, für wie lange. Mutter und Kind sitzen immer noch in einem Flüchtlingslager im Libanon fest, oft in akuter Lebensgefahr durch Bombardierungen. Seit Jahren warten sie auf einen Termin für das Visum. In Deutschland hat der Vater inzwischen Arbeit gefunden, die Kinder gehen in die Schule, und alle drei sprechen deutsch. Und trotzdem, trotzdem hört die Sorge nicht auf, die Sorge um ihre Familienmitglieder. Sie haben keine Chance, richtig anzukommen. - All das hat mir die Familie unter Tränen erzählt, und ich habe mich gefragt: Wie viel Leid kann ein Mensch ertragen, wie viel Leid kann eine Familie ertragen, und wann kann diese Familie endlich wieder zusammen sein und in Sicherheit leben?

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der Linken)

Nach Jahren zwischen Hoffnungslosigkeit und Hilflosigkeit ist ihr Verfahren endlich in der letzten Phase angekommen. Und nun? Nun legen Sie einen Gesetzentwurf vor, der die Zusammenführung dieser Familie verhindern würde.

(Dr. Christian Wirth (AfD): Ja, der kann doch in den Libanon ziehen!)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir führen hier keine abstrakte Debatte. Wir reden über die Zukunft dieser Familie aus meinem Wahlkreis,

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der Linken)

über die Zukunft zahlreicher Familien in Ihren Wahlreisen und ganz konkret über den Schutz dieser Familien.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der Linken)

Die Aussetzung des Familiennachzugs subsidiär Schutzberechtigter bedeutet menschliches Leid und die Verhinderung von Integration. Wer dauerhaft von seiner Familie getrennt ist, lebt in Perspektivlosigkeit. Familiennachzug ist kein Gnadenakt; er ist Voraussetzung,

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der Linken)

er ist Voraussetzung für Teilhabe. Wie sollen Menschen Anschluss finden, wenn sie täglich um das Leben ihrer Liebsten bangen? Der Schutz von Ehe und Familie gilt für alle. Ich erwarte von einer Partei, die sich christlich nennt, ein klares Bekenntnis zur Familie, zu jeder Familie.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der Linken - Alexander Hoffmann (CDU/CSU): Das ist platt!)

Auch die Behauptung, Sie würden mit der Aussetzung Behörden und Gerichte entlasten, ist schlicht falsch. Sie erzeugen mehr Bürokratie und mehr Kosten; denn tatsächlich wird Ihre Maßnahme zu einer Flut von Eilverfahren und Härtefallanträgen führen. Und Ihre Politik ist ein Konjunkturprogramm für Schleuser. Wer legale Wege abschneidet, zwingt Menschen auf gefährliche Fluchtrouten.

(Alexander Hoffmann (CDU/CSU): Was ist denn das für eine naive Betrachtung?)

Dass Sie das ernsthaft Steuerung nennen, ist unverschämt.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der Linken)

Sie sehen nicht mal eine Regelung für Menschen vor, die sich schon seit Jahren in Verfahren befinden. Sorgen Sie zumindest dafür, dass diese Verfahren zu Ende geführt werden!

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der Linken - Alexander Hoffmann (CDU/CSU): Kindisch!)

Und ermöglichen Sie den Menschen wenigstens, dass sie schon vor Ablauf der zwei Jahre wieder Termine buchen können! Ansonsten wird die Aussetzung faktisch viel länger dauern als zwei Jahre.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der Linken) 

Wieso wollen Sie von der SPD einer Regelung zustimmen, die Sie vor wenigen Wochen noch abgelehnt haben? Diese Regelung war auch Inhalt im geplanten Zustrombegrenzungsgesetz, 

(Zuruf der Abg. Desiree Becker (Die Linke))

für das die Union nur eine Mehrheit mit einer rechtsextremen Partei finden konnte. Und nun wollen Sie dem zustimmen. 

Was dieses Gesetz wirklich bedeutet: Spaltung statt Schutz, Isolation statt Integration. Dieser Gesetzentwurf ist Symbolpolitik auf dem Rücken der Schwächsten und entbehrt jeder Menschlichkeit; denn alle Familien gehören zusammen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Christian Görke (Die Linke))

Präsidentin Julia Klöckner: 

Für die Fraktion Die Linke hat nun Frau Abgeordnete Clara Bünger das Wort.

(Beifall bei der Linken)

Clara Bünger (Die Linke): 

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn wir heute über die Aussetzung des Familiennachzugs zu subsidiär Schutzberechtigten sprechen, geht es nicht um eine abstrakte Verwaltungsvorschrift, sondern um Menschen.

(Beifall bei der Linken)

Es geht um Eltern, um Partner, die seit Jahren von ihren Angehörigen getrennt sind, weil Fluchtwege zu gefährlich sind. Es geht um Kinder, die in Kriegsgebieten ausharren, weil der deutsche Staat ihnen den legalen Weg zu ihrer Familie versperrt. Das ist die Realität. Wenn Sie von „Aussetzung“ sprechen, Herr Dobrindt, dann sagen Sie bitte auch, was das bedeutet: Kinder wachsen ohne Eltern auf;

(Dr. Christian Wirth (AfD): Wer lässt denn seine Kinder im Stich?)

Menschen sterben, weil ihnen der legale Weg versperrt wurde; Familien leben in Angst und Hoffnungslosigkeit. Ihr Gesetzentwurf, Herr Dobrindt, ist daher antichristlich und auch familienfeindlich.

(Beifall bei der Linken sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Deshalb gehören die Kirchen auch zu den schärfsten Kritikerinnen dieses Gesetzentwurfes. Aber das scheint Ihnen ja in Ihrem Abschottungswahn komplett egal zu sein, Herr Dobrindt. 

Dieses Gesetz zielt ganz bewusst auf eine bestimmte Gruppe ab: Rund 90 Prozent aller Menschen mit subsidiärem Schutzstatus kommen aus Syrien.

(Alexander Throm (CDU/CSU): Genau!)

Das sind Menschen, die aus einem Land voller Krieg, Folter und Gewalt geflohen sind. Die Lage in Syrien ist weiterhin höchst gefährlich; die Menschen trifft das jetzt mit voller Härte. Sie machen Politik gegen Kinder und ihre Eltern.

(Beifall bei der Linken - Alexander Hoffmann (CDU/CSU): Sie haben das Prinzip nicht verstanden! Das ist offenkundig!)

Ein Fall, den ich hier ansprechen möchte, zeigt besonders deutlich, worum es geht: 2017 machte sich eine junge Syrerin mit ihren beiden kleinen Kindern auf den Weg über das Mittelmeer. Ihr Mann lebte bereits in Deutschland. Sie hätten zusammen sein können, wenn man sie hätte nachkommen lassen. Aber Deutschland hatte den Familiennachzug zu subsidiär Schutzberechtigen schon damals ausgesetzt. Also blieb nur der gefährliche Weg. Am 17. März 2017 ertrank die Familie im Mittelmeer, eine Mutter, zwei Kinder.

Präsidentin Julia Klöckner: 

Lassen Sie eine Zwischenfrage zu?

Clara Bünger (Die Linke):

Ich möchte an dieser Stelle keine Zwischenfrage zulassen, weil ich das für pietätlos halte.

(Zuruf des Abg. Alexander Hoffmann (CDU/CSU))

Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, war kein Unglück. Das war politisch gewollt. Das war das Ergebnis Ihrer Politik der letzten Großen Koalition. Genau da knüpfen Sie jetzt wieder an.

(Beifall bei der Linken sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Es werden auch jetzt Menschen sterben. 

(Alexander Hoffmann (CDU/CSU): Falsche Anreize führen dazu, dass Menschen sich auf den Weg machen und sterben! Das sollten Sie hinzufügen!)

Ihr Gesetzentwurf versperrt einen der letzten legalen Wege, den Familiennachzug. Herr Dobrindt, wenn Sie hier die ganze Zeit von „illegaler Migration“ sprechen, muss ich sagen: Das kenne ich von der AfD; die hat damit angefangen.

(Raimond Scheirich (AfD): Sie hat auch recht!)

Sie haben das jetzt übernommen.

(Martin Hess (AfD): Stimmt! Wir haben zuerst die Wahrheit gesagt!)

Offensichtlich ist das Regierungshandeln. Das ist ein Skandal; das muss man doch mal aussprechen. Wenn Sie von „illegaler Migration“ sprechen und dann die letzten legalen Wege abschaffen, dann ist das doch total widersprüchlich. Sie schaffen damit selbst die Illegalität der Flucht; denn Sie treiben Menschen in die Illegalität, statt legale Wege zu schaffen.

(Beifall bei der Linken sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN - Alexander Hoffmann (CDU/CSU): Was für eine naive Betrachtung!)

Das ist nicht nur zynisch. Wir sagen, das ist auch juristisch nicht haltbar. Der subsidiäre Schutz ist nämlich kein Schutz zweiter Klasse. Er schützt Menschen vor Folter, Krieg und unmenschlicher Behandlung, auch wenn diese nicht individuell verfolgt werden.

(Alexander Hoffmann (CDU/CSU): Jeder zweite Satz falsch!)

Auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte - und jetzt hören Sie mir gut zu, Herr Hoffmann! - hat bereits geurteilt: Eine pauschale Aussetzung des Familiennachzugs ist menschenrechtswidrig, selbst bei Härtefallregelungen.

(Beifall bei der Linken sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN - Alexander Hoffmann (CDU/CSU): Sie biegen sich das alles zurecht! - Steffen Bilger (CDU/CSU): Alles falsch, was Sie da erzählen! - Zuruf des Abg. Dr. Christian Wirth (AfD)

Und was machen Sie? Eine angebliche Härtefallregelung nach § 22 Aufenthaltsgesetz. Aber in der Praxis ist das, was Sie vorschlagen, ein Feigenblatt; denn genau diese Regelung gab es auch 2016 und 2018. Frau Nasr, ich finde es ja schön, dass Sie sich hier für Familien einsetzen wollen. Aber dann - das sage ich ganz klar an die Adresse der SPD - stimmen Sie diesem Gesetzentwurf nicht zu!

(Beifall bei der Linken sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Denn diese 280 Menschen sind nur ein Tropfen auf den heißen Stein und keine wirkliche Härtefallregelung.

Aus unserer Sicht ist die bestehende Kontingentierung auch ohne Ihren Gesetzentwurf, den Sie heute vorlegen, verfassungsrechtlich bedenklich. 

(Alexander Hoffmann (CDU/CSU): Ja, aus Ihrer Sicht! Das ist aber ein anderer Maßstab!)

Er verletzt aus unserer Sicht ganz klar Artikel 6 des Grundgesetzes und Artikel 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention. Was Sie jetzt hier planen, verschärft dies noch. Ich sage Ihnen ganz deutlich: Wenn Sie dieses Gesetz beschließen, werden weitere Familien auseinandergerissen. Es werden weitere Menschen auf eine tödliche Fluchtroute getrieben. Das liegt dann in Ihrer Verantwortung, in der Verantwortung von SPD und Union. Wir als Linke sagen an der Stelle ganz klar: Familien gehören zusammen. Punkt!

(Beifall bei der Linken sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN - Christian Görke (Die Linke): Punkt! Ganz meine Meinung!)

Wir fordern, dass Sie den Familiennachzug nicht aussetzen, sondern dass Sie ihn beschleunigen, dass die Verfahren menschenwürdig gestaltet werden und dass Sie die Botschaften so ausstatten, dass die Antragstellung möglich ist. Und hören Sie bitte auf, Familien für Ihre Symbolpolitik zu instrumentalisieren! Das ist wirklich widerlich

(Beifall bei der Linken sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

und aus unserer Sicht unter völkerrechtlichen, verfassungsrechtlichen und praktischen Gesichtspunkten sehr bedenklich. Das haben wir alles in unserem Antrag deutlich gemacht. Ich denke, dass all die Expertinnen und Experten, die sich schon an Sie gewandt haben, dies in der Anhörung deutlich machen. Ich bitte Sie, dass Sie ihnen zuhören und diesem Gesetzentwurf nicht zustimmen.

Danke.

(Beifall bei der Linken sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Präsidentin Julia Klöckner:

Das Wort für eine Kurzintervention hat Herr Adam Balten. - Bitte sehr.

Adam Balten (AfD): 

Zunächst vielen Dank für die ganzen Ausführungen. Sie waren sehr emotional und haben sicherlich viele Leute mitgenommen; so kennen wir das von der linken Seite. 

(Katharina Dröge (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das war sachlich und fachlich korrekt und nicht emotional!)

Allerdings ist es so: Wir haben eine Luftlinie von ungefähr 3 500 Kilometern zwischen Fluchtort und Zielort. Sechs sichere Staaten müssen dafür durchquert werden. Es gibt sichere Länder, wie zum Beispiel die Türkei, die 2024 ein Wirtschaftswachstum von 3,2 Prozent aufzuweisen hatte, die kulturell und geografisch näher liegt und auch wesentlich mehr Platz hat. 

(Lachen bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der Linken)

Wir haben angesichts der wirtschaftlichen Situation im Grunde gar keine Verpflichtung, diese Leute hier bei uns aufzunehmen. 

(Cansin Köktürk (Die Linke): Asylrecht!)

Wie stehen Sie dazu? Und die Antwort kann nicht sein: Wenn die anderen es nicht machen, dann müssen wir das machen. - In dieser Verantwortung sind wir nicht. 

Vielen Dank.

(Beifall bei Abgeordneten der AfD)

Präsidentin Julia Klöckner: 

Also, die Antwort wird nicht vom Fragesteller gegeben, sondern von der Befragten. - Bitte sehr.

Clara Bünger (Die Linke): 

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Vielen Dank auch, dass ich meine Antwort selbst geben kann. Dass die AfD den Menschen gern die Antwort in den Mund legt und dabei populistische Hass- und rassistische Thesen vorlegt, kennen wir schon von Ihnen. 

(Beifall bei der Linken sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN - Widerspruch bei der AfD)

Das brauchen wir nicht. Wir als Linke wissen das besser. 

(Martin Hess (AfD): 5 Euro ins Phrasenschwein!)

Weil Sie die Fluchtrouten ansprechen: Sie kennen die Realität ja nicht; das wissen wir alle. Sie sitzen in Ihrem rassistischen Elfenbeinturm und packen da Ihre Thesen aus.

(Beifall bei der Linken sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN - Lachen bei der AfD - Zuruf von der AfD: Setzen Sie sich lieber wieder hin mit Ihrer linksrassistischen Einstellung!)

Zur Wahrheit gehört, dass viele Länder schon viele geflüchtete Menschen aufgenommen haben: der Libanon, die Türkei. Wenn Deutschland so viele Menschen aufnehmen würde, dann wären viel, viel mehr Menschen in diesem Land. Diese Realität müssen Sie sich mal auf der Zunge zergehen lassen. 

Man muss auch sagen: Weltweit herrscht so viel Krieg wie noch nie. Weltweit sind so viele Menschen auf der Flucht wie noch nie. 

(Martin Hess (AfD): Und die wollen Sie jetzt alle nach Deutschland lassen, oder was?)

Über 100 Millionen Menschen sind auf der Flucht. Deutschland exportiert Waffen, Deutschland ist beteiligt an Kriegen. Und Sie wollen einfach die Tür verschließen und sagen: Das hat mit uns nichts zu tun! 

(Martin Hess (AfD): Korrekt!)

Da verweigern Sie als AfD sich der Realität. Das müssen Sie den Menschen in Ihrem Wahlkreis auch mal verkaufen.

(Beifall bei der Linken - Martin Hess (AfD): Das machen wir! Deswegen wachsen unsere Stimmanteile auch!)

Präsidentin Julia Klöckner: 

Danke sehr. - Bevor die Debatte weitergeht, darf ich Sie über Folgendes informieren: Der Abgeordnete Stephan Brandner hat fristgerecht Einspruch gegen den ihm in der 10. Sitzung erteilten Ordnungsruf eingelegt. Dem Einspruch wurde nicht abgeholfen. Der Einspruch wird als Unterrichtung verteilt. 

Gemäß § 39 unserer Geschäftsordnung ist der Einspruch auf die heutige Tagesordnung zu setzen.

Der Bundestag hat über den Einspruch ohne Aussprache zu entscheiden. Die Entscheidung über den Einspruch wird als Zusatzpunkt 17 nach Zusatzpunkt 10 - das ist nach jetzigem Stand etwa gegen 11:20 Uhr - aufgerufen.

Wir fahren fort in der Debatte zu TOP 22. Jetzt hat für die CDU/CSU-Fraktion der Abgeordnete Alexander Throm das Wort.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Alexander Throm (CDU/CSU): 

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Diese Regierungskoalition ist sich einig, dass es Ziel deutscher Politik sein muss, den Zuzug nicht zur zu steuern, sondern auch zu begrenzen. Deswegen bringen wir heute erneut einen entsprechenden Gesetzentwurf - „Begrenzung“ soll als Gesetzesziel ins Aufenthaltsgesetz aufgenommen werden - ein. Denn leider gibt es nicht nur gesteuerte und gewollte Migration, etwa Fachkräfte, sondern auch die ungesteuerte Migration, und diese überfordert unser Land momentan.

(Beifall bei der CDU/CSU - Zuruf von der Linken)

Die Zielbestimmung dient Behörden und Gerichten zur Auslegung. Da wir das Ziel der Begrenzung jetzt wieder explizit ins Gesetz aufnehmen, nachdem die Ampel es entfernt hat, bekommt es sogar eine noch größere Bedeutung. Denn es zeigt den aktuellen Willen des Gesetzgebers, und es zeigt auch, dass der aktuelle Gesetzgeber die Migrationswende will. Hätten Sie es drin gelassen, wäre es wahrscheinlich nicht so bedeutungsvoll. Jetzt haben wir eine klare Auslegungsregel für Behörden und Gerichte.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Wir setzen den Familiennachzug zu subsidiär Schutzberechtigten aus. Ja, wir müssen alle Stellschrauben bedienen, die zu einer Reduzierung des Zuzugs mit Fluchthintergrund führen. Anders als etwa beim Schutz nach Grundgesetz oder Genfer Flüchtlingskonvention ist der nationale Gesetzgeber hier - mit Ausnahme von Härtefällen - frei. Es ist bei subsidiär Schutzberechtigten ein nachrangiger Schutzgrund, weil sie eben gerade nicht in ihrer Person bedroht oder verfolgt sind. Sie können willkürlich Leidtragende einer Auseinandersetzung sein. Diesen Schutzgrund gibt es weltweit nur in der Europäischen Union. 

(Katrin Fey (Die Linke): Schön!)

Er geht über die Anforderung der Genfer Flüchtlingskonvention hinaus, und deswegen können wir dies auch so machen, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Trotz dieser Nachrangigkeit hat sich die Situation beim Familiennachzug zu Schutzberechtigten in den letzten Jahren gewandelt. Die Zahlen des Familiennachzugs zu subsidiär Schutzberechtigten übersteigen inzwischen die Zahlen des Nachzugs zu GFK-Flüchtlingen. 2024 machten sie mehr als die Hälfte aller Familiennachzüge zu Schutzberechtigten aus. 

Und ja, dieser Familiennachzug, dieser privilegierte Nachzug, stellt einen erheblichen Pullfaktor dar. 

(Filiz Polat (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das ist einfach falsch!)

Gerade auch deshalb ist Deutschland Hauptzielland von syrischen Flüchtlingen in Europa. Zusammen mit Österreich hat Deutschland über 50 Prozent aller syrischen Flüchtlinge in Europa in den vergangenen Jahren aufgenommen.

Wir vollziehen nur das nach, was nahezu alle anderen EU-Länder schon gemacht haben. 

(Clara Bünger (Die Linke): Deshalb gab es ja auch die EGMR-Entscheidung dazu! Dänemark wurde schon verurteilt!)

Sie haben diesen Familiennachzug entweder komplett ausgesetzt oder zumindest erheblich beschränkt. 

Wir wollen das System, das es bisher gibt, dass in der Regel junge fitte Männer auf den gefährlichen Weg nach Europa, vor allem Deutschland, geschickt werden, um dann ihre Familien nachzuholen, durchbrechen. Diese Systematik muss ein Ende haben, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Der Nachzug ist darüber hinaus privilegiert. Es ist keine Lebensunterhaltssicherung, keine Wohnraumversorgung nachzuweisen. Damit ist der Nachzug in der Regel auch ein Nachzug in unsere Sozialsysteme, und auch das überfordert unser Land und muss eingegrenzt werden.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Schon heute - das sage ich allen, die sich für die bestehende Regel einsetzen - gibt es in der aktuellen Gesetzeslage keinen Anspruch auf den Familiennachzug zu subsidiär Schutzberechtigten. Es ist eine freiwillige humanitäre Aufnahme dieses Landes, 

(Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sind Sie dagegen, oder was?)

auch mit der jetzigen Kontingentlösung, von 12 000 Menschen pro Jahr. Das ist eine Kleinstadt. Ja, Frau Kollegin Bünger, diese Kleinstadt kommt zu 90 Prozent aus Syrien. Das ist in der aktuellen Lage sogar das beste Argument, das Sie hier bringen können, weil sich die Lage in Syrien verändert hat. Dort ist etwas in Bewegung. 

(Zuruf der Abg. Clara Bünger (Die Linke))

Glücklicherweise ist das schreckliche Assad-Regime gestürzt worden. Die EU hat erst vor wenigen Tagen die Wirtschaftssanktionen aufgehoben, sodass der Wiederaufbau gelingen kann. Ja, und dort werden auch die Landsleute zum Wiederaufbau gebraucht, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der CDU/CSU - Clara Bünger (Die Linke): Wollen Sie Kinderarbeit fördern?)

Deshalb: Flüchtlingsschutz insbesondere von subsidiär Schutzberechtigen ist Aufenthalt auf Zeit. Anders als in der Zeit des Assad-Regimes kann Familienzusammenführung auch wieder in der Heimat stattfinden.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Deshalb müssen wir über dieses Gesetz hinaus unsere Haltung, unsere Vorgehensweise in den nächsten Wochen schnell klären. Wir müssen klären, wie wir mit Asylanträgen syrischer Flüchtlinge, die neu kommen, aber auch mit denjenigen, die schon da sind, umgehen. Der ursprüngliche Fluchtgrund „Assad“ ist weggefallen.

(Beifall bei der CDU/CSU - Dr. Bernd Baumann (AfD): Die SPD klatscht überhaupt nicht!)

Ich will nur eines deutlich machen, damit kein falscher Eindruck entsteht: Diejenigen, die gut integriert sind, die Ärzte, aber auch alle anderen, die arbeiten und ihren Lebensunterhalt sichern, 

(Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die dürfen bleiben!)

können, weil sie anerkannt Schutzberechtigte sind, in einen Arbeitsaufenthaltstitel wechseln. Wenn sie das tun und in diesem Arbeitsaufenthaltstitel den Lebensunterhalt für ihre Familie und die Wohnraumversorgung sichern können, dann steht für diese gut integrierten ehemals syrischen Flüchtlinge auch der Familiennachzug offen.

(Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das ist keine Großherzigkeit von Throm!)

Es ist richtig und in keiner Weise unchristlich, dass dieser Familiennachzug gerade jetzt, in dieser neuen Situation, die wir in Syrien haben, eingeschränkt wird.

Präsidentin Julia Klöckner:

Ich bitte, zum Ende zu kommen.

Alexander Throm (CDU/CSU): 

Wir beraten das gerne in den Ausschüssen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Präsidentin Julia Klöckner:

Für die AfD-Fraktion hat nun Herr Abgeordneter Dr. Gottfried Curio das Wort.

(Beifall bei der AfD)

Dr. Gottfried Curio (AfD): 

Sehr geehrte Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Republik hat gerade erst gesehen, wie Friedrich Merz sein Hauptversprechen bei Zurückweisungen, am ersten Tag ausnahmslos alle zurückzuweisen, auch wenn sie ein Schutzersuchen stellen, kurzerhand selbst auf X wieder kassiert hat. „Das Schutzversprechen gilt“, schreibt er da, und de facto kommen 98 Prozent weiterhin durch. Ein Merz kreißte, und eine Maus ward geboren. Versprechen für illegale Migranten gelten, die für deutsche Wähler nicht. Das ist Glaubwürdigkeit à la Union. Na danke, meine Damen und Herren!

(Beifall bei der AfD)

Nun werden weitere Mogelpakete in Stellung gebracht, so auch bei der Aussetzung des Familiennachzugs für subsidiär Schutzberechtigte. Wenn denn die Union hierin schon eine richtige Maßnahme erkennt, so ließ sie sich die von der SPD gleich wieder abhandeln. Die Regelung gilt nur noch für die erste Hälfte der Wahlperiode, und das bei 400 000 subsidiär Geschützten. Das heißt, die Union ist nur auf anfängliche Medienmeldungen zum Wählerfang aus. Danach kann die Maßnahme getrost wieder eingestampft werden. Na toll, meine Damen und Herren!

So, und nun? Was wäre eigentlich wichtig? Den fortdauernden Aufenthalt der hiesigen Ankerpersonen solchen Nachzugs zu beenden. Bei der größten Gruppe, den Syrern, ist längst jeder Aufenthaltsgrund entfallen. Das Assad-Regime ist weg, der Bürgerkrieg aus, so schon vor einem Jahr vom OVG Münster festgestellt. Höchste Zeit mithin für eine Familienzusammenführung in umgekehrter Richtung. Die Schutz- und Aufenthaltstitel sind zu revidieren, die Ausreise nach Syrien voranzutreiben.

(Beifall bei der AfD)

Aber es fehlt im Koalitionsvertrag - vom Gericht längst entschieden - die notwendige Klarstellung. Die Situation in Syrien rechtfertigt keinen subsidiären Schutz mehr. Laut Aufenthaltsgesetz ist der Nachzug zu einem subsidiär Geschützten ausgeschlossen, wenn die Verlängerung von dessen Aufenthaltserlaubnis nicht zu erwarten ist. Aber da will man nicht ran. Die sollen offenbar dableiben, die Millionen. Das ist das Gegenteil von einer Migrationswende, meine Damen und Herren.

Was steht im Koa-Vertrag? Auch nach Syrien und Afghanistan werde man abschieden. Das heißt nur, dass man überhaupt auch mal nach dort abschiebt, irgendwann. Das hätte sogar die eine Abschiebung der Ampel erfüllt, ebenfalls zwecks Wählertäuschung kurz vor Landtagswahlen. In Wahrheit steht da überhaupt keine Zielvorgabe, wieder kein Bekenntnis zur vollständigen Abschiebung aller, die nicht aufenthaltsberechtigt sind. Das und nur das wäre eine Rückkehr zu Recht und Gesetz in der Migrationspolitik. Deshalb kommt da auch nichts von dieser Koalition, außer jetzt Tausende neue Afghanen dank Herrn Wadephul.

(Beifall bei der AfD)

Was ist denn das? Syrien ist gut genug, um Hunderte Millionen deutschen Steuergeldes einzusacken, aber eine Rückführung dahin ist nicht zumutbar? Wir sagen: Wer kein Bleiberecht hat, muss raus, muss wieder zurück. Diese sagenhaften Fachkräfte dürfen jetzt gerne mal Syrien wieder aufbauen.

(Beifall bei der AfD - Dr. Ralf Stegner (SPD): Es fehlt nur noch die schwarze Uniform!)

Was ist das denn überhaupt für ein Familiennachzug? Die jungen Männer mussten angeblich raus aus Syrien, gaben an, man sei dort bedroht; aber die Regel für die Besatzung auf dem gefährdeten Schiff heißt bei denen: Frauen und Kinder zuletzt. Das muss ja wirklich eine schöne Bedrohung sein!

Meine Damen und Herren, eine Migrationswende mit angezogener Handbremse ist zum Scheitern verurteilt. Bei der grotesk schwachen Verhandlungsführung der Union beim Koalitionsvertrag reicht es jetzt nur noch zu einer reinen Ankündigungspolitik einer Wende. Maßnahmen in homöopathischen Dosen wie die 150 Asylzurückweisungen im Monat sind keine Wende, sondern dienen ausschließlich dazu, den Bürger dummzumachen.

(Beifall bei der AfD)

Aber die Union wollte nicht die hier vorhandene Mehrheit für eine Wende zum Besseren für unser Land nutzen. Der Kanzler macht sowieso nur noch gelegentlich Zwischenstopp am Berliner Flughafen, und die Union hat sich wieder, wie unter Merkel, in babylonische Gefangenschaft bei der SPD begeben - freiwillig. Die Bürger durchschauen das. Sie wollen nicht immer wieder an der Nase herumgeführt werden.

So bleibt es dabei: Eine tatsächliche Wende in der Migrationspolitik, meine Damen und Herren, die wird es nur mit der AfD geben.

(Beifall bei der AfD - Alexander Hoffmann (CDU/CSU): Was für eine Geschichte! - Zurufe von der Linken)

Präsidentin Julia Klöckner:

Für die SPD-Fraktion hat nun der Abgeordnete Hakan Demir das Wort. Bitte.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Hakan Demir (SPD): 

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Curio, ich muss feststellen, aber es ist auch keine neue Feststellung, dass Sie ein Herz aus Stein haben. Das brauchen wir hier in diesem Parlament nicht.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ja, wir brauchen Ordnung, aber auch Humanität. Das, was wir heute besprechen, ist für viele Menschen keine abstrakte Debatte. Es ist ein Einschnitt in ihr Leben. Sie sind vor Krieg und Verfolgung geflohen, und sie hoffen - teils seit Jahren -, ihre Liebsten wiederzusehen, ihre Ehepartnerinnen, ihre Ehepartner, ihre Kinder.

(Zuruf des Abg. Marcel Queckemeyer (AfD))

Ich glaube, alle von uns können sich ausmalen, wie wir uns fühlen würden, wenn ein Krieg unsere Familien auseinanderreißen würde, oder wie wir uns als Kinder gefühlt hätten, wenn wir jahrelang von Vater oder Mutter getrennt gewesen wären.

Auch für uns als Sozialdemokraten ist die heutige Debatte nicht einfach. Es geht um ein Herzensanliegen der Sozialdemokratie. Das kann ich hier sagen: Es müsste eigentlich unser Ziel sein, Familien leichter und schneller wieder zu vereinen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD - Desiree Becker (Die Linke): Dann macht es doch!)

Dennoch muss ich hier feststellen, dass in den Koalitionsverhandlungen Kompromisse geschlossen worden sind. Die Aussetzung des Familiennachzugs für subsidiär Schutzberechtigte ist so ein Kompromiss.

(Cansin Köktürk (Die Linke): Das ist kein Kompromiss!)

Und ich kann das hier auch noch einmal offen sagen: An diesem Punkt ist es ein Kompromiss, der mir und meiner Fraktion schwerfällt. Es fällt uns schwer, weil es um Familien geht, um Frauen und Kinder, um Menschen, die nichts weiter machen wollen, als mit ihren Familien zusammenzuleben.

(Zuruf von der Linken: Für die Familien ist das schwer!)

Das ist auch in unserem Grundgesetz und in der Europäischen Menschenrechtskonvention verankert. Dieser Gedanke macht uns als Europa aus.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Gerade in der Asyldebatte verliert man sich oft in abstrakten Begriffen: Ordnung, Aufnahmekapazitäten, Zuzug begrenzen, subsidiärer Schutz, Kontingente, Härtefallregelung, Vertrauensschutz.

(Desiree Becker (Die Linke): Dank der AfD!)

All das werden wir im Blick behalten, wenn wir die Reform des Familiennachzugs in den anstehenden Beratungen verhandeln.

Aber es hilft manchmal auch, sich klarzumachen, dass es bei all dem, was wir beraten, um Menschen geht. Es geht um Menschen, die hier in Deutschland nach sorgfältiger Prüfung durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge einen Schutzstatus erhalten haben. Es geht um Menschen wie die syrische Mutter, die seit 18 Monaten auf einen Botschaftstermin wartet, um zu ihrem unbegleiteten minderjährigen Sohn nachreisen zu können. Es geht um den Vater, der seine Ehefrau, seine Tochter wiedersehen möchte, um die Mutter, deren im Kriegsgebiet zurückgebliebener Sohn bereits im Teenageralter mehrere Suizidversuche überlebt hat. Sie alle setzen Hoffnungen in uns. Die Reform wird sich daran messen lassen, dass wir solchen Schicksalen gerecht werden.

(Beifall bei der SPD)

Bei den Reformen müssen wir schauen, wer schon im Verfahren ist und in gewisser Weise einen Vertrauensschutz genießt. Und wir müssen schauen, wie wir die Härtefälle besser definieren können, um die vulnerablen Gruppen zu erfassen. Das ist der Weg. Ordnung ja, aber wir brauchen auch Humanität.

Weil die Linkspartei hier die ganze Zeit reinruft, warum wir dieses Gesetz dann nicht einfach ablehnen,

(Dr. Christian Wirth (AfD): Ja, warum?)

will ich hier einmal sagen: So einfach ist es nicht. Ich habe gesagt, dass es ein Kompromiss ist.

(Zuruf der Abg. Desiree Becker (Die Linke))

Ich will auch in Richtung Clara Bünger sagen: Wohin würde es führen, wenn wir all die Gesetze, die ihr kritisiert, jetzt ablehnen würden? Wozu würde dieser Koalitionsbruch führen?

(Zuruf der Abg. Desiree Becker (Die Linke))

Welche Alternativen sehen Sie jetzt gerade in diesem Haus?

(Beifall bei der SPD)

Bitte bedenken Sie das, wenn Sie diese Kritik immer wieder äußern. Nennen Sie uns eine Alternative hier in diesem Haus, die jetzt besser wäre.

(Beifall bei der SPD - Lachen bei Abgeordneten der AfD - Christian Görke (Die Linke): Neuwahlen! - Zurufe von der AfD: Hier! Hier!)

Präsidentin Julia Klöckner:

Ich bitte darum, dass jetzt der Redner das Wort hat und nicht Sie von rechts und links. - Sie haben Ihre Rede beendet?

Hakan Demir (SPD): 

Danke schön.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Präsidentin Julia Klöckner:

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat Frau Abgeordnete Filiz Polat das Wort.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Filiz Polat (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): 

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich habe lange überlegt, wie ich meine Rede zu diesem Gesetzentwurf beginne. In dieser Debatte hat mich die Rede von Herrn Dobrindt, aber auch die Rede von Herrn Throm an den verstorbenen Papst Franziskus erinnert. Ich möchte Ihnen ein Zitat mitgeben, das mich doch sehr beeindruckt hat. Das Zitat lautet wie folgt:

„Das Gegenteil der Liebe ist die Gleichgültigkeit. Nicht der Hass, sondern die Gleichgültigkeit ist das Gegenteil der Liebe.“

Seien Sie nicht gleichgültig gegenüber denjenigen, die Ehepartner/-in, Kinder oder Geschwister im Herkunftsland oder in Nachbarstaaten zurücklassen mussten, weil der Fluchtweg zu gefährlich und zu teuer ist. Es sind Fälle, in denen Familien auseinandergerissen werden und nur mit großer Mühe, manchmal nach Jahren, wieder zusammenfinden. Für viele von uns ist eine jahrelange Trennung von den Liebsten unvorstellbar.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Meine Fraktion teilt den Schmerz, kann die Verzweiflung nachvollziehen. Meine Damen und Herren: Familien gehören zusammen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der Linken)

Die Zivilgesellschaft hat sich deutlich und geschlossen gegen eine Aussetzung des Familiennachzugs positioniert.

(Alexander Hoffmann (CDU/CSU): 75 Prozent der Menschen wollen eine andere Migrationspolitik!)

Anlässlich des Internationalen Tags der Familie im Mai - Frau Staatssekretärin Wulf, auch das Familienministerium muss sich dazu positionieren -

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Alexander Hoffmann (CDU/CSU): 75 Prozent der Menschen wollen eine andere Migrationspolitik!)

haben zahlreiche Organisationen, darunter das International Rescue Committee, Save the Children, Terre des Hommes, in ihrer Petition unmissverständlich klargestellt: Die Aussetzung des Familiennachzugs wäre eine migrations- und integrationspolitische Katastrophe mit Ansage.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Steffen Bilger (CDU/CSU): Unsinn!)

Auch der Paritätische Gesamtverband lehnt die Pläne zu Recht ab; denn das Recht auf Familienleben ist grund- und menschenrechtlich garantiert, auch in unserer Verfassung, in unserem Grundgesetz, Herr Throm. Es darf nicht zur Disposition gestellt werden, liebe SPD.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Alexander Throm (CDU/CSU): Härtefälle!)

Pro Asyl bringt es auf den Punkt. 

(Alexander Hoffmann (CDU/CSU): Ja, Pro Asyl!)

Herr Dobrindt, das war ja schon fast toxisch mit Ihrem Narrativ der illegalen Migration. Warum? Gerade der Familiennachzug ist doch der Weg, legal einzureisen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Alexander Throm (CDU/CSU): Zu illegal Eingewanderten!)

Welches Narrativ wollen Sie eigentlich setzen? Dieselben Parteien, die stets fordern, dass nur legale Einwanderungsmöglichkeiten genutzt werden sollen, schaffen genau diese Möglichkeit jetzt ab.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, es ist ein Angriff auf das Grundrecht auf Familie:

(Jens Spahn (CDU/CSU): Nein! Das stimmt nicht!)

kalt, bürokratisch, aber mit verheerender Wirkung für die Integration. Es schafft Frustration; es schadet der psychischen Gesundheit der Betroffenen. 

Wir werden diesen Gesetzentwurf ablehnen, weil wir immer die Aussetzung des Familiennachzugs abgelehnt haben.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Präsidentin Julia Klöckner: 

Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun Herr Abgeordneter Detlef Seif das Wort.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Detlef Seif (CDU/CSU): 

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich kurz noch auf die gestrige Debatte zu den Zurückweisungen an den Grenzen eingehen. 

(Clara Bünger (Die Linke): Hä?)

Hier haben die Linken und Grünen alarmistisch behauptet - mit Bezug auf eine Einzelfallentscheidung des Verwaltungsgerichts Berlin -, 

(Katharina Dröge (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): So viel zum Umgang mit Gerichten! Herr Dobrindt stellt sich hier vor den Richter, Sie stellen das schon wieder infrage! - Zuruf des Abg. Marcel Emmerich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

dass die Zurückweisungen rechtswidrig seien. Man hat vorgeworfen, der Rechtsstaat werde gebrochen. 

(Marcel Emmerich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wo ist denn Ihre Rechtsgrundlage? - Gegenruf des Abg. Alexander Hoffmann (CDU/CSU): Hören Sie doch mal zu! Sie können noch was lernen!)

Ich will Sie nur darauf hinweisen: Diese Woche ist eine Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg bezüglich Familiennachzug gefällt worden. In Bausch und Bogen hat man hier eine erstinstanzliche Entscheidung eingedampft. Mein Hinweis: Das ist Rechtsstaat - unterschiedliche Rechtsansichten -, und damit muss man umgehen. Dampfen Sie Ihre Argumentation etwas ein, werden Sie sachlich!

(Stefan Schmidt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Keine Einzelfallentscheidung! - Dr. Irene Mihalic (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sie machen ein Gesetz, das unmenschlich ist!)

Die Bundesregierung macht an dieser Stelle in Wahrnehmung ihrer Pflichten aus dem Amt das, was ihrer rechtlichen Überzeugung entspricht, und das ist gut so.

(Beifall bei der CDU/CSU - Marcel Emmerich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sie haben Probleme mit dem Rechtsstaat! - Gegenruf des Abg. Marc Henrichmann (CDU/CSU): Sie haben nicht richtig zugehört! - Gegenruf des Abg. Marcel Emmerich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sie bereiten den Rechten den Boden! - Gegenruf des Abg. Steffen Bilger (CDU/CSU): Den bereitet ihr! Unverschämtheit!)

Heute geht es um zwei weitere Maßnahmen. Man muss betonen: Wir machen zunächst einen großen Fehler der Ampel, der auf die Tätigkeit der Grünen zurückzuführen ist, rückgängig, damit das Aufenthaltsgesetz wieder der Begrenzung des Zuzugs dient. 

Eines zur Klarstellung: Das bedeutet nicht, dass wir die Menschen fernhalten wollen, die unserem Land nutzen, insbesondere Fachkräfte, die wir benötigen. Im Gegenteil! Im Koalitionsvertrag haben wir uns auf die Einrichtung einer Work-and-Stay-Agentur geeinigt. 

(Zuruf der Abg. Clara Bünger (Die Linke))

Unter Mitwirkung der Bundesagentur für Arbeit wollen wir eine digitale Agentur für Fachkräfteeinwanderung schaffen, 

(Clara Bünger (Die Linke): Was hat das mit Familiennachzug zu tun?)

mit einer zentralen IT-Plattform als einheitlicher Ansprechpartnerin für ausländische Fachkräfte. Hierdurch sollen die aktuellen Flaschenhälse, die wir in den Auslandsvertretungen und den Ausländerbehörden haben, beseitigt werden. Die Agentur bündelt und beschleunigt die Erwerbsmigration und erleichtert die Anerkennung von Berufs- und Studienabschlüssen. 

(Filiz Polat (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das hilft den Familien aber wenig!)

Ich gehe davon aus, dass die zuständige Bundesministerin für Arbeit und Soziales, Bärbel Bas, an dieser Stelle kurzfristig liefern wird.

Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf wird der Familiennachzug zu subsidiär Schutzberechtigten zunächst für zwei Jahre ausgesetzt, und dann soll eine Evaluierung folgen. Die Aussetzung - Sie fragten: was hat das mit Familiennachzug zu tun? - gehört zu einem Bündel von Maßnahmen, die die Bundesregierung auf den Weg gebracht hat und im Moment auf den Weg bringt; das hat Bundesminister Dobrindt auch betont. Es gibt nicht die eine Maßnahme, sondern wir müssen das als Gesamtmaßnahmenbündel sehen. 

(Katharina Dröge (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Kinder von ihren Eltern fernhalten! Zynisch und kaltherzig!)

Sonst wird die Wirkung auch nicht positiv sein.

Es ist eine Vielzahl von Maßnahmen. Dazu gehört auch, dass wir den Bundesrat nicht mehr mit der Einstufung als sichere Herkunftsstaaten belasten, sondern dass die Bundesregierung das per Rechtsverordnung machen kann. Eine entsprechende Einstufung von Algerien, Marokko, Tunesien und Indien steht zurzeit auf der Agenda; aber es gibt weitere Staaten, die die Voraussetzungen erfüllen. Das werden wir zügig auf den Weg bringen.

Die Vorschriften zum GEAS werden national umgesetzt. Das reicht uns aber nicht. Wenn man sich die GEAS-Vorschriften anschaut, dann erkennt man: Sie sind in Teilbereichen viel zu kompliziert. Verfahren werden aufgebläht. Hier muss deutlich nachgebessert werden. 

(Filiz Polat (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Zur Sache! - Clara Bünger (Die Linke): Mehr Nachzug, mehr legale Wege! So einfach ist das!)

Am Ende des Tages kann nur durch die Streichung des Verbindungselements erreicht werden,

(Filiz Polat (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Zur Sache!)

dass Rückführungen und Verbringungen in sichere Drittstaaten erfolgen können. 

(Clara Bünger (Die Linke): Für Familien haben Sie nichts übrig, Herr Seif, oder?)

Und am Ende des Tages ist das eine ganz wichtige Maßnahme im Gesamtpaket. 

(Beifall bei der CDU/CSU - Filiz Polat (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Zur Sache!)

Wir müssen durch Verbesserungen in den Verfahren und Kapazitätsaufbau - wir haben so oft darüber gesprochen - tatsächlich eine Rückführungsoffensive schaffen, die diesen Namen verdient. Der Grundsatz muss sein: Asylbewerber, die abgelehnt wurden, 

(Filiz Polat (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Zur Sache!)

müssen unser Land grundsätzlich wieder verlassen, und zwar möglichst zügig und schnell. 

(Beifall bei der CDU/CSU - Katrin Fey (Die Linke): Sie sind unchristlich!)

Die Bundespolizei soll eine zusätzliche Kompetenz erhalten, nämlich für ausreisepflichtige Ausländer vorübergehende Haft und Ausreisegewahrsam zu beantragen. Warum ist das so wichtig? Bei dem Terroristen Anis Amri, dem Attentäter vom Breitscheidplatz, 

(Zuruf der Abg. Katrin Fey (Die Linke))

hätte diese Kompetenz möglicherweise den Anschlag verhindern können, aber sie fehlte. Das werden wir im Gesetz korrigieren. 

Wir schaffen einen dauerhaften Ausreisearrest für ausreisepflichtige Gefährder 

(Katrin Fey (Die Linke): Schande!)

und Täter schwerer Straftaten. - Nicht „Schande“! Die haben in der Freiheit in Deutschland nichts zu suchen. Die müssen unser Land verlassen, und deshalb müssen wir die in Gewahrsam nehmen. 

(Beifall bei der CDU/CSU - Zuruf der Abg. Clara Bünger (Die Linke))

Der letzte Punkt, der besonders wichtig ist: Wir lassen uns von mitwirkungspflichtigen Drittländern bei den Rückführungen nicht mehr länger auf der Nase rumtanzen. Deshalb haben wir im Koalitionsvertrag einen kohärenten Ansatz vereinbart. Wir werden zukünftig alle Politikfelder nutzen, um eine höhere Kooperationsbereitschaft der Herkunftsländer, die rücknahmepflichtig sind, zu erreichen: Visavergabe, Entwicklungszusammenarbeit, Wirtschafts- und Handelsbeziehungen. 

(Schahina Gambir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Zur Sache!)

Das tut weh, und das wird auch dazu führen, dass dort die Bereitschaft deutlich steigen wird. 

(Christian Görke (Die Linke): Das ist Nötigung, was Sie da machen! Nötigung! - Lachen bei Abgeordneten der AfD)

Das waren einige wichtige Punkte eines Bündels von Maßnahmen, die die Koalition auf den Weg bringen wird. Sie sind total wichtig. 

(Katharina Dröge (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ihnen ist das so peinlich!)

Vizepräsident Omid Nouripour:

Sie müssen zum Ende kommen, Herr Kollege.

Detlef Seif (CDU/CSU): 

Was Sie hier teilweise gemacht haben, rechts wie links: Fakten werden verdreht, falsch dargestellt. 

(Christian Görke (Die Linke): Da sind Sie aber Nummer eins hier! - Clara Bünger (Die Linke): Sie verdrehen!)

Sie von der AfD reden beispielsweise von nur 150 Personen, die zurückgeführt wurden. 

(Dr. Bernd Baumann (AfD): Asylzurückweisungen! - Martin Hess (AfD): Asylzurückweisungen! Hören Sie doch mal zu!)

Vizepräsident Omid Nouripour:

Herr Abgeordneter Seif, Sie müssen zum Ende kommen.

Detlef Seif (CDU/CSU): 

Sie sehen nicht die vielen, die gar nicht mehr kommen. Sie sehen nicht die Signalwirkung.

(Katharina Dröge (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ihr Gesetzentwurf ist Ihnen so peinlich!) 

Vizepräsident Omid Nouripour:

Sie müssen jetzt zum Ende kommen, Herr Abgeordneter.

Detlef Seif (CDU/CSU): 

Asylpolitik hat eine Signalwirkung, und auch da arbeitet die Bundesregierung hervorragend. 

Vielen Dank. 

(Beifall bei der CDU/CSU)

Vizepräsident Omid Nouripour: 

Herzlichen Dank. - Das war die letzte Rede in dieser Debatte. Ich schließe die Aussprache.

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 21/321 und 21/349 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es weitere Überweisungsvorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann verfahren wir wie vorgeschlagen. 

Bevor ich den nächsten Tagesordnungspunkt aufrufe, möchte ich darauf hinweisen, dass ich mir gestern in der Debatte um die Abgeordnetenentschädigung vorbehalten habe, Ordnungsmaßnahmen zu ergreifen. Nachdem die Durchsicht des Protokolls geschehen ist, möchte ich dem Abgeordneten Brandner von der AfD einen Ordnungsruf erteilen. Er hat auch in dieser Debatte das Wort „Syndikatparteien“ für die Parteien der politischen Mitbewerber benutzt. Das gehört sich hier nicht. Deshalb erteile ich ihm einen Ordnungsruf. 

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der Linken)

Es gab in derselben Angelegenheit einen weiteren Ordnungsruf. Gegen den gibt es einen Einspruch. Darüber werden wir nachher abstimmen. 

Jetzt sind die Umsetzungen erfolgt. 

Ich rufe den Zusatzpunkt 10 auf: 

 

ZP 10

 

Beratung des Antrags der Fraktion Die Linke

Gaza – Völkerrecht verteidigen, Waffenlieferungen stoppen, humanitäre Hilfe ermöglichen

Drucksache 21/350 

Überweisungsvorschlag:

Auswärtiger Ausschuss (f)

Verteidigungsausschuss

Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe

 

Für die Aussprache wurde eine Dauer von 60 Minuten vereinbart. 

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat für die Fraktion Die Linke Jan van Aken. 

(Beifall bei der Linken)

Jan van Aken (Die Linke): 

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe zwei Jahre in Israel gelebt, in Jaffa. Auch am 7. Oktober 2023 waren wir dort. Meine Liebsten und ich wurden morgens um 6:33 Uhr von den Sirenen geweckt, und wir dachten: Wieder ein Raketenangriff! - Das wäre schlimm genug gewesen; aber gar nichts hat uns auf das vorbereitet, von dem wir dann im Laufe des Tages hörten: dieser unfassbar brutale Angriff der Hamas, die Geiselnahmen, aber auch das tiefe Trauma, das dieser furchtbare Angriff in Israel, aber auch weltweit in der jüdischen Gemeinde ausgelöst hat. Denn die Grundidee des Staates Israel, Sicherheit für Jüdinnen und Juden in aller Welt zu garantieren, die Grundidee, die auch mir so am Herzen liegt, ist an dem Tag zerstört worden. Denn an dem Tag gab es in Israel keine Sicherheit. 

(Beifall bei der Linken sowie der Abg. Isabel Cademartori (SPD))

Dieses Trauma müssen wir immer mitdenken und mitfühlen, wenn wir über den 7. Oktober reden und wenn wir über Gaza reden.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Nichts davon rechtfertigt aber die brutalen Angriffe auf unbewaffnete Zivilisten, auf Krankenhäuser, auf flüchtende Menschen. Nichts davon rechtfertigt die Ermordung von Zehntausenden Palästinenserinnen, die Zerstörung der Lebensgrundlage von 2 Millionen Menschen, erst recht nicht die widerlichen Auslöschungsfantasien von Mitgliedern der rechtsextremen Regierung Netanjahus.

(Beifall bei der Linken sowie bei Abgeordneten der SPD - Christian Görke (Die Linke): Sehr richtig!)

Nichts davon ist gerechtfertigt oder entschuldigt durch die Verbrechen der Hamas am 7. Oktober. Kriegsverbrechen der israelischen Armee sind keine legitime Selbstverteidigung des Staates Israel.

(Beifall bei der Linken sowie der Abg. Dr. Nina Scheer (SPD))

Wir als Linke haben da einen ganz klaren Grundsatz: Niemals nie darf ein Menschenrechtsverbrechen ein anderes Menschenrechtsverbrechen begründen oder rechtfertigen - niemals!

(Beifall bei der Linken sowie der Abg. Dr. Nina Scheer (SPD) - Christian Görke (Die Linke): Sehr richtig!)

Ich werde jetzt, ein Jahr nach meiner Ausreise, wieder dorthin fahren, um zu schauen, wie die Situation vor Ort ist, vor allem, um zuzuhören, um mitzufühlen, aber auch, um nach Lösungen zu horchen. Denn das Sterben in Gaza muss endlich beendet werden, jetzt und sofort.

(Beifall bei der Linken sowie bei Abgeordneten der SPD)

Und da hat auch die Bundesregierung eine Verantwortung. Ja, diese Bundesregierung muss die Waffenexporte nach Israel sofort stoppen. Sie muss endlich Palästina als Staat anerkennen. Denn wenn wir sagen: „Wir brauchen eine Zweistaatenlösung“, dann braucht es dafür zwei Staaten, Israel und Palästina. Sie müssen endlich beide anerkannt werden, auch von Ihnen.

(Beifall bei der Linken sowie der Abg. Dr. Nina Scheer (SPD))

Zum Schluss noch ein Gedanke, der mich dieser Tage ständig umtreibt: Sie von der Bundesregierung schauen zu. Sie tun nichts. Und wenn dann irgendwann die Zahl der Toten in Gaza in Hunderttausenden gezählt wird, wenn irgendwann vielleicht keine einzige Palästinenserin und kein einziger Palästinenser mehr in Gaza lebt, dann werden Sie sagen: Ich war schon immer dagegen. - Aber dann ist es zu spät.

(Beifall bei der Linken sowie der Abg. Dr. Nina Scheer (SPD))

Vizepräsident Omid Nouripour:

Vielen Dank. - Die nächste Rede hält Jürgen Hardt für die Unionsfraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Jürgen Hardt (CDU/CSU): 

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir hatten ja bereits gestern Gelegenheit, das Thema hier im Rahmen einer Aktuellen Stunde zu besprechen. Und viele Kolleginnen und Kollegen aus der Außenpolitik, aus dem Menschenrechtsausschuss sowie aus dem Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung hatten Gelegenheit, gestern und vorgestern mit dem Außenminister des Staates Israel, Gideon Sa’ar, zu sprechen, sich mit ihm direkt auszutauschen und zu hören, was die Sicht der israelischen Regierung auf die aktuelle Entwicklung ist.

Was wir bei diesen Gesprächen immer wieder betont haben: Wenn die Hamas ihren völkerrechtswidrigen Kampf, ihren Terrorkampf gegen Israel, ihr Ziel der Zerstörung Israels aufgeben und die verbleibenden Geiseln und die Leichname der verstorbenen Geiseln an Israel übergeben würde, würde sich natürlich die humanitäre Lage im Gazastreifen komplett anders darstellen. 

Viele fragen sich ja, warum Israel nicht im Stil der amerikanischen Truppen nach dem Zweiten Weltkrieg in Deutschland versucht, die Herzen der Menschen zu gewinnen - Stichwort „Kaugummi verteilen“. Ich behaupte, die Amerikaner hätten das in Berlin auch nicht getan, wenn aus jedem Keller irgendeine Waffen-SS-Truppe sie befeuert hätte. Erst wenn die Waffen niedergelegt sind, kann auch ein Neuanfang der Beziehungen und des Verhältnisses stattfinden. Wenn Waffen genutzt werden, ist immer die Gefahr groß - und das passiert leider auch im Gazastreifen allzu oft -, dass unschuldige Zivilisten mit in die Kämpfe einbezogen und getötet werden. 

(Sören Pellmann (Die Linke): Was folgt daraus?)

Das Erste, was wir tun können: Wir bleiben bei unserer klaren Mahnung an Israel, die humanitäre Hilfe deutlich zu erhöhen. Israel hatte ja anfänglich den Plan, das mit einer neuen privaten Organisation zu tun. Das funktioniert nicht so, wie wir das erwarten. Das funktioniert offensichtlich auch nicht so, wie die israelische Regierung das erwartet. Deswegen ist jetzt wohl vorgesehen, dass auch auf einem zweiten Weg - wiederum über die UN, das World Food Programme - tatsächlich wieder Hilfsgüter in den Gazastreifen kommen. Das werden wir uns in den nächsten Tagen genau anschauen. Und dass es geht, dass man deutlich mehr Hilfsgüter in den Gazastreifen einführen und auch verteilen kann, zeigt ja die Situation zwischen Januar und März; denn in diesem Zeitraum sind ja bis zu 700 Lkws am Tag tatsächlich in den Gazastreifen gelangt. 

Das Zweite, was wir als Freunde Israels in den Blick nehmen sollten, sind natürlich der große Hintergrund dieses Konfliktes und der große Akteur, der für diesen Konflikt maßgeblich verantwortlich ist, nämlich derjenige, der den Terror in der Region finanziert, der die Raketen finanziert, mit denen Israel sogar aus weit entfernten Ländern wie Jemen beschossen wird, der Staat, der eine Atombombe und Atomraketen mit dem Ziel baut, Israel zu zerstören; das hat der Iran als Staatsziel ausgegeben. 

Ich glaube, dass die neue Bundesregierung entsprechend den Beschlüssen des Deutschen Bundestages bzw. der Anträge der damaligen Oppositionsfraktion CDU/CSU ihre Iranpolitik anpassen und verschärfen muss. Denn wir müssen alle gemeinsam unbedingt verhindern, dass der Iran in den Besitz einer Atombombe gelangt, die dann möglicherweise als Allererstes auf Israel abgefeuert werden könnte. Und das wäre natürlich das Allerschlimmste.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Wir brauchen also auch bei der deutschen Iranpolitik eine Weiterentwicklung und ein Umsteuern. Nicht alles, was Deutschland gemacht hat, war falsch; aber es war zu wenig, wenn ich zum Beispiel an die Terrorlistung der Revolutionsgarden denke. Das ist ein Thema, an dem wir arbeiten müssen. 

Das Dritte, was ich an dieser Stelle sagen möchte: Wir sind natürlich sehr daran interessiert, was sich Israel für die Zukunft des Gazastreifens vorstellt. Wir sagen klipp und klar: Der Gazastreifen ist nicht Teil des Staatsgebietes von Israel und muss auch so von Israel behandelt werden. Deswegen wünsche ich mir eine Vision des Staates Israel, der israelischen Regierung, wie sie sich denn die Zukunft des Gazastreifens vorstellt, 

(Cansin Köktürk (Die Linke): Das haben sie doch schon geäußert! Sie wollen Gaza auslöschen!)

wenn es denn tatsächlich eines Tages so weit ist, dass die Waffen schweigen und die Hamas nicht mehr die Macht ausübt. Die Hamas darf die Macht über den Gazastreifen nicht mehr ausüben. Aber es bedarf letztlich einer Organisation unter maßgeblicher Führung der Palästinenser selbst, die die zivile Verwaltung übernimmt, und es bedarf vermutlich einer internationalen Unterstützung, damit die Sicherheit Israels insoweit gewährleistet wird, dass sicher ist, dass aus dem Gazastreifen heraus niemals mehr der Staat Israel in der Art und Weise angegriffen werden kann, wie das am 7. Oktober 2023 der Fall war.

Wenn wir gemeinsam mit Israel eine solche Diskussion über die Zukunft des Gazastreifens führen, dann wird es vielleicht auch leichter sein für die Menschen überall auf der Welt, zu verstehen, was dort geschieht und mit welchem Ziel es geschieht. Das ist etwas, was wir bei Gideon Sa’ar angemahnt haben: dass wir darüber mehr Klarheit wollen. 

Wir als Deutschland - und da sollte der Deutsche Bundestag insgesamt dabei sein - sind gerne bereit: Wenn wir gebraucht werden, wenn unsere Hilfe beim zivilen Aufbau, beim Wiederaufbau gebraucht wird,

(Cansin Köktürk (Die Linke): Die wird nicht gebraucht, wenn Sie keine Waffen liefern!)

wenn unsere Hilfe bei der Bereitstellung humanitärer Hilfe gebraucht wird, dann darf es weder an deutschem Geld noch an deutschem Willen scheitern; dann müssen Deutschland und die Europäische Union massiv daran mitwirken.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Vizepräsident Omid Nouripour:

Vielen Dank. - Als Nächstes erteile ich das Wort Dr. Alexander Gauland für die AfD-Fraktion.

(Beifall bei der AfD)

Dr. Alexander Gauland (AfD): 

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Helmut Schmidt, ein deutscher Staatsmann, an dessen Format man mit einer gewissen Wehmut zurückdenkt,

(Dr. Ralf Stegner (SPD): Er kann sich leider nicht mehr wehren gegen Sie!)

hat eine Entscheidung als die schwerste seines politischen Lebens bezeichnet. Am 5. September 1977 entführten RAF-Terroristen den Arbeitgeberpräsidenten Hanns Martin Schleyer und forderten von der Bundesregierung die Freilassung von elf inhaftierten Terroristen, sonst müsse Schleyer sterben. Helmut Schmidt entschied sich, nicht auf die Forderungen einzugehen. Dabei blieb er auch nach der Entführung der „Landshut“ durch palästinensische Terroristen. Die Geiseln in der „Landshut“ konnten befreit werden, Hanns Martin Schleyer nicht. 

Helmut Schmidt handelte als Akteur einer Tragödie. Er wusste, was immer er tat, er würde schuldig werden. Aber seine Botschaft war eindeutig: Mit Terroristen verhandelt man nicht. Terroristen bekämpft man - mit allen Mitteln, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der AfD)

Bereits damals haben deutsche Linksextremisten und palästinensische Terroristen bestens harmoniert. Ihr gemeinsamer Feind war und ist das westliche System. Für sie ist Israel ein Kolonialstaat, der von der Landkarte verschwinden soll. In den Medien der DDR tauchte Israel selten ohne das Beiwort „Aggressor“ auf. Dass ausgerechnet Die Linke jetzt diesen Antrag einbringt, lässt auf Krokodilstränen schließen. Nie konnte man mit besserem Gewissen Antisemit sein als derzeit. Nie verstanden sich islamische und linke Radikale besser als heute. 

(Beifall bei der AfD - Dr. Ralf Stegner (SPD): Das sagt ausgerechnet ein AfD-Vertreter! - Zurufe von der Linken)

Ich will damit keineswegs sagen, dass alle, die Israels Vorgehen in Gaza kritisieren, Antisemiten sind - um Gottes willen! Ich will damit nur sagen, dass es nie bessere Zeiten für Judenfeinde gab, Israel zu verurteilen. 

Im Deutschen Bundestag ist womöglich keine Formulierung häufiger gebraucht worden als die von der deutschen Verantwortung gegenüber den Juden und dem jüdischen Staat, die sich aus der Tatsache ergibt, dass im deutschen Namen versucht wurde, das jüdische Volk auszulöschen. 

Die Nationalsozialisten sind erschreckend weit gekommen mit diesem Vorsatz. 

(Dr. Ralf Stegner (SPD): „Vogelschiss“, den Sie damals angesprochen haben!)

Heute gibt es Organisationen in der arabischen Welt, die den Judenstaat auslöschen, also das Werk Hitlers fortsetzen wollen. An der Spitze steht die Hamas. Aus ihren Absichten machen deren Mitglieder keinen Hehl. Sie veröffentlichen sogar die Bilder ihrer Mordtaten. Die Hamas missbraucht Zivilisten als Schutzschilde. Die Hamas nimmt das palästinensische Volk als Geisel. Die Hamas hat nur ein Ziel: die Vernichtung Israels.

Israel ist ein Staat im Belagerungszustand. Darf ich Sie daran erinnern, dass in Israel dennoch 2 Millionen arabische Israelis leben, ungefähr 20 Prozent der Gesamtbevölkerung? Gaza aber war judenfrei, und von Gaza aus haben diejenigen angegriffen, die ganz Israel gern judenfrei hätten. 

Ich kann hier nur wiederholen, was ich an dieser Stelle bereits öfters gesagt habe: Es steht uns nach meiner Meinung als Deutschen nicht zu, Israel zu verurteilen, wenn es sich gegen einen Angreifer wehrt, der Juden ermordet und von der Auslöschung des Judenstaates träumt. 

Deutschland hat den Palästinensern allein in den Jahren 2023 und 2024 fast 1 Milliarde Euro überwiesen, wie eine Anfrage der FDP an die Bundesregierung ergab. Aus der EU fließen ebenfalls Millionen. Von 2014 bis 2020 gaben UN-Organisationen fast 4,5 Milliarden Dollar im Gazastreifen aus. Nach Angaben der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung belief sich die Hilfe für die Palästinenser zwischen 1994 und 2020 auf über 40 Milliarden Dollar. 

Gaza hätte eine blühende Landschaft werden können. Statt Schulen und Fabriken zu bauen oder Unternehmen zu gründen, hat die Hamas Tunnel gegraben und Raketen gebaut - und am 7. Oktober 2023 Israel angegriffen, weit über 1 000 Zivilisten auf bestialische Weise massakriert und die Bilder davon ins Netz gestellt. Mir kann niemand einreden, dass die Hamas nicht mit einer massiven Vergeltung gerechnet hat. Ich wüsste gern, wie die Israel-Verurteiler hier im Saal und vor allem auch draußen reagieren würden, hätte man das ihren Kindern und Familienangehörigen angetan. 

Und ich wüsste auch gern, meine Damen und Herren, wie sich Israel verteidigen soll, ohne dass es auch Unschuldige und Zivilisten trifft. Die traf es auch bei den Bombenangriffen der Alliierten auf Hamburg, Dresden, Köln oder Chemnitz. Und doch sprechen wir heute zu Recht - und besonders am Jahrestag der Landung in der Normandie - von Befreiung, und das besonders lautstark diejenigen, die diesen Antrag eingebracht haben. Zu Recht hat Henryk Broder die Frage nach der Verhältnismäßigkeit in einem solchen Krieg gestellt. 

Es gibt im Antrag der Linken natürlich auch vernünftige Passagen, 

(Daniel Baldy (SPD): Im Gegensatz zu Ihrer Rede!)

vor allem, was die humanitäre Hilfe betrifft. Humanitäre Hilfe unterstützen wir natürlich. Eine Zweistaatenlösung mit Beteiligung der Hamas aber kann Israel nicht zulassen. Israel kann streng genommen die Existenz der Hamas nicht länger zulassen. Das ist die Lektion aus der Geschichte des judenfreien Gazastreifens. Wie lange würde es dauern, bis aus dem Palästinenserstaat wieder Raketen auf Israel abgeschossen würden? 

Meine Damen und Herren, wir haben im Westen in 80 Jahren Frieden vergessen, was eine Tragödie ist. Wir bezeichnen inzwischen jeden Unfall als Tragödie. Aber das Wesen des Tragischen liegt darin, dass der Mensch, indem er handelt, schuldig wird. Der Konflikt in einer Tragödie ist unauflösbar. In Israel geschieht eine Tragödie. Wir sollten Gott danken, dass wir bloß Zuschauer sind und nicht unser leichtfertiges Versprechen einlösen müssen, dass die Sicherheit Israels Teil unserer Staatsräson ist. 

(Beifall bei der AfD)

Aber wenigstens wohlfeiler Verurteilungen sollten wir uns in dieser Situation enthalten. 

Ich bedanke mich. 

(Beifall bei der AfD)

Vizepräsident Omid Nouripour:

Vielen Dank. - Ich erteile das Wort für die nächste Rede Isabel Cademartori für die SPD-Fraktion. 

(Beifall bei der SPD)

Isabel Cademartori (SPD): 

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist höchste Zeit, dass wir diese Debatte in diesem Haus führen. Wir haben zu lange zu diesem Thema geschwiegen. Die humanitäre Lage in Gaza ist nämlich katastrophal. Laut UN-Angaben sind 100 Prozent der Bevölkerung akut vom Hungertod bedroht. Täglich sterben Kinder. Menschen werden erschossen beim verzweifelten Versuch, Hilfsgüter zu erreichen. 

Wir dürfen nicht schweigen, wenn Kinder verhungern, Mütter ihre Säuglinge nicht mehr stillen können und Sanitäter unter Beschuss geraten. Humanitäre Hilfe darf niemals als politisches Druckmittel missbraucht werden. 

(Beifall bei der SPD und der Linken sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Das ist ein schwerwiegender Verstoß gegen das humanitäre Völkerrecht, ebenso wie die vom Sicherheitskabinett Israels beschlossene Umsiedlung, die man klar als Vertreibung der Palästinenser bezeichnen muss. 

Das brutale Massaker der Hamas am 7. Oktober 2023, bei dem israelische Zivilisten auf grausame Weise ermordet und verschleppt wurden, verurteilen wir alle hier zutiefst. Es war abscheulich und unmenschlich. Die Solidarität mit den Opfern, die Unterstützung Israels bei der Befreiung der Geiseln und beim Schutz seiner Bevölkerung waren und sind berechtigt. Die Hamas muss alle Geiseln sofort freilassen, bedingungslos. 

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der Linken)

Wir brauchen einen sofortigen Waffenstillstand, um ihr Leben nicht weiter zu gefährden. Denn ein Waffenstillstand ist der sicherste Weg, sie lebend freizubekommen. 

Die militärische Reaktion Israels auf den 7. Oktober hat ein Ausmaß an zivilem Leid verursacht, das mit dem völkerrechtlichen Prinzip der Verhältnismäßigkeit nicht vereinbar ist. Das haben auch der Bundeskanzler und der Außenminister inzwischen klar benannt. Die Situation in Gaza ist unerträglich. Kriegsverbrechen finden fortlaufend statt. Diese Einschätzung teilen viele in unserer Gesellschaft. In unzähligen Briefen und Aufrufen äußern sich Menschenrechtsorganisationen, Kirchen, Ärzte, Journalisten, Künstler, Wissenschaftler; Bürgerinnen und Bürger wenden sich an uns. Sie zeigen Haltung, moralische Klarheit und demokratische Verantwortung. 

Erst diese Woche ist unter der Führung des Hanau-Überlebenden Etris Hashemi wieder so ein Brief an uns adressiert worden. Ich danke dir, Etris, und ich danke allen, die trotz der Anfeindungen nicht schweigen. Eure Stimmen sind wichtig, sie zählen, und sie verändern auch was.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Als SPD begrüßen wir die klaren Worte der Bundesregierung. Doch nun müssen den Worten auch Taten folgen. Es geht nicht darum, Israel zu belehren; das steht uns nicht zu. Es geht darum, unsere eigenen Werte ernst zu nehmen und danach zu handeln. Die SPD-Fraktion unterstützt deshalb eine Überprüfung der Waffenexporte an Israel entlang der Prinzipien des humanitären Völkerrechts. Deutsche Waffen dürfen nicht für Kriegsverbrechen eingesetzt werden. Darüber darf es in diesem Haus keine zwei Meinungen geben; denn das ist unsere bestehende Rechtslage, abgeleitet aus unserem Grundgesetz. 

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Im Schatten von Gaza werden auch in der Westbank und in Ostjerusalem Fakten geschaffen. Der illegale Siedlungsbau wird beschleunigt wie nie zuvor - fast 19 000 neue Wohneinheiten allein in diesem Jahr, 22 zuvor illegale Siedlungen nachträglich legalisiert. Das Ziel wird offen kommuniziert. Es ist nicht unklar, was das Ziel ist: Die Zweistaatenlösung soll verhindert werden, indem ein souveräner palästinensischer Staat dauerhaft verhindert wird. Das darf nicht ohne Konsequenzen bleiben. Denn genau diese Zweistaatenlösung ist für die Bundesregierung die Grundlage ihrer Nahostpolitik, auch im Koalitionsvertrag festgeschrieben. Deshalb dürfen wir nicht länger nur appellieren. Wir müssen handeln. 

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Norbert Maria Altenkamp (CDU/CSU))

Deutschland muss sich gemeinsam mit Frankreich auf der UN-Konferenz am 17. Juni 2025 klar positionieren. Konkrete Schritte zur Anerkennung eines unabhängigen palästinensischen Staates müssen vereinbart werden, nicht irgendwann, sondern jetzt, damit das, was Außenminister Wadephul zu Recht gesagt hat, Wirklichkeit bleibt: Gaza, das Westjordanland und Ostjerusalem gehören den Palästinenserinnen und Palästinensern. 

Sicherheit für Israel und für Palästina ist unsere historische Verantwortung. Die Wunden auf beiden Seiten sind sehr tief. 

Vizepräsident Omid Nouripour:

Frau Kollegin, Sie müssen zum Ende kommen.

Isabel Cademartori (SPD):

Aber wenn eine nächste Generation in Würde und ohne Angst leben soll, muss die internationale Gemeinschaft jetzt handeln. Internationales Recht muss gelten, immer und überall. Auch das ist deutsche Staatsräson. 

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Vizepräsident Omid Nouripour:

Herzlichen Dank. - Die nächste Rednerin ist Luise Amtsberg für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. 

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Luise Amtsberg (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): 

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Freilassung der Geiseln, die Versorgung der Menschen im Gazastreifen und ein Ende der Kampfhandlungen, ein Ende des Krieges, nichts kann man sich in diesen Tagen mehr wünschen. Das ist ein klares Gebot der Menschlichkeit, das aber - so ehrlich müssen wir sein - in immer weitere Ferne rückt. Deshalb ist es gut, dass wir heute erneut über Israel und über Palästina sprechen. Ich möchte ausdrücklich meinen Dank an Die Linke richten, diese Debattengrundlage hier heute geschaffen zu haben. 

Meine Damen und Herren, mit dem menschenverachtenden Massaker am 7. Oktober hat die Hamas erneut ihren Terror über Israel gezogen und binnen weniger Stunden 1 200 Menschen getötet, 250 Menschen entführt. Die Brutalität und Menschenverachtung dieses Angriffs, des schwersten Angriffs auf jüdische Menschen seit dem Holocaust, ist für viele, mich eingeschlossen, bis heute eigentlich kaum zu fassen. Das Massaker hat eine tiefe Wunde in der israelischen Gesellschaft hinterlassen. 

Und nicht zufällig richtete sich dieser Angriff gezielt gegen friedensbewegte Menschen in Israel, Menschen wie Vivian Silva, die zeit ihres Lebens für die Versöhnung von Israelis und Palästinensern eingetreten ist und mit ihrer Friedensbewegung Women Wage Peace 45 000 Menschen in Israel hinter sich versammelt hat. Es waren diese Stimmen, ihr Engagement, das gezielt zum Schweigen gebracht werden sollte. 

Und deshalb ist es so wichtig, in diesen Debatten den 7. Oktober immer wieder ins Bewusstsein zu rufen - nicht nur, um an die Grausamkeit zu erinnern, die von diesem Terror ausging und noch ausgeht, sondern auch, um daran zu erinnern, was gerade auf dem Spiel steht, welche Visionen hier gezielt zerstört werden sollen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Isabel Cademartori (SPD))

Der 7. Oktober markiert auch eine Zäsur für die Menschen in den palästinensischen Gebieten und vor allem im Gazastreifen; Menschen, die eineinhalb Jahre Krieg hinter sich haben - ein Krieg, von dem wir heute sagen werden, dass er weder verhältnismäßig geführt wird noch das Völkerrecht respektiert und achtet. 

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Seit dem 7. Oktober erleben wir immer mehr Eskalationen, eine Spirale der Gewalt, deren Leidtragende auf allen Seiten einzig und allein Zivilisten sind. Es ist die Verantwortung der internationalen Gemeinschaft und auch von uns, jene zu schützen und ihre Unversehrtheit ins Zentrum zu stellen, das internationale Recht zur Anwendung zu bringen. 

Denn wir müssen nüchtern festhalten, dass das Werben um die Einhaltung des Völkerrechts und die zähen Verhandlungen mit der israelischen Regierung und von anderen mit der Hamas nach wie vor nicht zu einem dauerhaften Waffenstillstand geführt haben. Im Gegenteil: Nicht nur hat sich die humanitäre Lage aufgrund der israelischen Blockade zu einer ausgewachsenen humanitären Katastrophe entwickelt, sondern es haben sich auch die politischen Umstände - und das muss man erwähnen - verändert. 

Deshalb verwundert es auch nicht, dass der Ton schärfer wird, dass die Kritik an der israelischen Regierung - international, hierzulande, aber auch vor Ort - wächst und dass neue Maßnahmen diskutiert werden. Es ist eine absolut berechtigte und notwendige Reaktion auf eine völlig offene Ankündigung Netanjahus, den Gazastreifen langfristig zu besetzen und Palästinenser/-innen dauerhaft zu vertreiben. Diese Ankündigung, die faktisch bereits durch Taten umgesetzt wird, ist nicht mit dem Völkerrecht vereinbar. Hier kann es keine zwei Deutungen geben. Es ist ein Völkerrechtsbruch mit Ansage, dem wir uns geschlossen entgegenstellen müssen. 

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der Linken)

Keine Besetzung und keine Vertreibung der Menschen aus dem Gazastreifen! 

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, seit dem Beginn des Krieges sind in Gaza mehr als 400 humanitäre Helfer/-innen getötet worden. Über 200 Journalistinnen und Journalisten haben vor Ort ihr Leben verloren. 1 400 Menschen, die im medizinischen Bereich tätig waren, und weit über 50 000 Menschen sind in diesem Krieg gestorben. Große Teile der Zivilbevölkerung sind durch Kampfhandlungen mehrfach binnenvertrieben. Nur noch ein Drittel des Territoriums ist für die palästinensische Bevölkerung zugänglich. Gebäude und Infrastruktur sind weitgehend zerstört, das Gesundheitssystem ist kollabiert. Eine öffentliche Ordnung gibt es nicht mehr. 

Und in dieser ohnehin unerträglichen Lage die Einfuhr sämtlicher humanitärer Güter zu blockieren und parallel die internationalen Organisationen quasi kaltzustellen oder mit Betätigungsverboten zu belegen, das ist einfach inakzeptabel. 

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Jürgen Hardt (CDU/CSU): Findet ja auch nicht mehr statt!)

Die Folgen sind fatal; denn die Blockade trifft auf eine Zivilgesellschaft, die anderthalb Jahre Krieg hinter sich hat und die bereits vor dem Krieg schon auf humanitäre Hilfe angewiesen war. 

Deshalb kann die Reaktion auf dieses neue Verteilsystem auch keine andere sein als eine ablehnende; denn humanitäre Hilfe darf nicht militarisiert, konditionalisiert oder für politische Zwecke instrumentalisiert werden.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Aber mit all dem bricht das neue System. Deshalb muss die Bundesregierung dieses System in aller Deutlichkeit kritisieren, die israelische Regierung dazu auffordern, mit den internationalen Organisationen zu kooperieren, die Übergänge zu öffnen, die Beschränkungen für Güter fallen zu lassen und die Kampfhandlungen einzustellen, damit Menschen sicher versorgt werden können und eine Hungersnot aktiv verhindert werden kann.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Hakan Demir (SPD))

Einen Punkt möchte ich machen: Es ist natürlich klar, dass unsere Aufmerksamkeit auf dieser humanitären Tragödie in Gaza liegt; aber wir dürfen bei all der Dringlichkeit die Lage im Westjordanland nicht aus dem Blick verlieren. Seit Monaten schreiten die De-facto-Entrechtung von Palästinenser/-innen im Westjordanland und der völkerrechtswidrige Siedlungsbau voran, ohne die nötige internationale Beachtung, und das, obwohl diese Frage aufs Engste mit der politischen Zukunft Gazas verknüpft ist. Erst vor einer Woche wurden neue Siedlungen genehmigt. Die Straflosigkeit von fast täglicher Siedlergewalt, Landnahme und Hauszerstörung ist bittere Realität für sehr viele Menschen. 

Ich habe in den vergangenen Monaten immer wieder zerstörte Gemeinden im Westjordanland besucht und mit eigenen Augen das Ausmaß dieser Zerstörung sehen können: ob es eine palästinensische Gemeinde ist, die in den South Hebron Hills nur noch über einen steilen Hang den Aufstieg in ihr zerstörtes Dorf schafft, weil die Straße von Siedlern blockiert wird; ob es der Bauer nördlich von Ramallah ist, der sein Vieh nachts im Flur seines Hauses einschließen muss, weil es sonst von Siedlern aus dem Outpost auf seinem Gelände geklaut oder getötet wird; oder ob es das Ehepaar in der Altstadt von Jerusalem ist, das neben den Trümmern seines Hauses jetzt nur noch in einem spärlichen Baucontainer lebt, weil die Bulldozer alles zerstört haben. 

Das alles sind Existenzen, Menschen, die wegen dieser völkerrechtswidrigen Politik alles verloren haben. Die Intention ist völlig klar - ich glaube, jemand hat es vorhin auch schon gerufen; ich zitiere Verteidigungsminister Katz, der es ganz deutlich gesagt hat -: Wir werden in der Westbank den jüdischen Staat errichten. 

Liebe Kolleginnen und Kollegen, das sind deutliche Worte, die zum Handeln auffordern. 

(Christian Görke (Die Linke): Sehr richtig!)

Die Maßnahme der Entrechtung und Destabilisierung der Menschen sowie der PA einerseits und die Blockade und die enthemmte Kriegsführung im Gazastreifen andererseits, sie unterminieren, sie zerstören die Aussicht auf einen palästinensischen Staat und damit auch auf Frieden in der Region. Und deshalb muss die Bundesregierung weiter auf ein Ende des Siedlungsbaus drängen. Sie muss diese scharf kritisieren, aber auch darauf drängen, dass die Zoll- und Steuereinnahmen an die PA ausgezahlt werden, damit Staatlichkeit überhaupt noch funktionieren kann. 

Natürlich braucht es schärfere Sanktionen, nicht nur gegen einzelne Siedler, sondern auch gegen israelische Regierungsmitglieder, Siedlerorganisationen und Unternehmen, die diesen völkerrechtswidrigen Siedlungsbau unterstützen und auf den Weg bringen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der Linken sowie bei Abgeordneten der SPD)

Was Hoffnung macht, sind die vielen Menschen, die ihr Schicksal selber in die Hand nehmen. Das sind Menschen wie Issa Amro, dem wir zuhören sollten; denn sie sind es, die jeden Tag auf brutalste Weise schikaniert und auch verletzt und bedroht werden, die sich aber widersetzen, und zwar gewaltfrei, entgegen allen Widerständen friedlich. Ich habe Issa mehrmals in Hebron besucht, und ich bin von ihm und seiner Resilienz zutiefst beeindruckt. Wir dürfen Menschen wie ihn nicht alleinlassen, gerade in dieser Zeit. Denn es sind Menschen, die gewaltfrei für ihre Rechte einstehen und das können, weil sie die Hoffnung in uns nicht verloren und nicht aufgegeben haben, die die Zukunft in dieser Region mitbestimmen werden.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Lea Reisner (Die Linke))

Wir dürfen nicht nachlassen, die lebendige kritische Zivilgesellschaft in Israel zu stärken: durch Erwähnung, Besuche, Einladungen und auch durch politische und finanzielle Unterstützung. Deshalb ist das Vorhaben der Knesset, durch eine massive Besteuerung die deutschen politischen Stiftungen, aber auch die NGOs im Allgemeinen arbeitsunfähig zu machen, eine echte Hiobsbotschaft; denn sie wird sich nachhaltig und negativ auf die Verständigung unserer Gesellschaften auswirken. Und das müssen wir zwingend verhindern.

Ich kann nicht alle Punkte aufgreifen.

Vizepräsident Omid Nouripour:

Sie müssen zum Ende kommen, Frau Kollegin.

Luise Amtsberg (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): 

Herr Präsident, ich komme sofort zum Schluss. - Ich freue mich aber auf die Beratungen im Ausschuss. Sie haben viele wesentliche Punkte in Ihrem Antrag genannt. 

Lassen Sie mich abschließend sagen: Wir alle wissen, dass die Freiheit und Sicherheit des einen die des anderen bedingt. 

Vizepräsident Omid Nouripour:

Herzlichen Dank.

Luise Amtsberg (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): 

Das Ziel muss die Zweistaatenlösung sein. 

Herzlichen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsident Omid Nouripour:

Herzlichen Dank. - Die nächste Rede hält Stephan Mayer für die Unionsfraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU): 

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr verehrte Kolleginnen! Sehr geehrte Kollegen! Wenn wir uns mit der aus meiner Sicht sehr wohlfeilen Kritik der Linken gegenüber Israel und auch mit diesem - zumindest in der Summe - sehr tendenziösen und auch undifferenzierten Antrag der Linken auseinandersetzen, müssen wir uns meiner Meinung nach schon die Kausalkette und die Kausalität in Erinnerung rufen: Es war die Hamas, es waren die brutalen Kassam-Brigaden, die am Morgen des 7. Oktober 2023 in Israel eingefallen sind und innerhalb eines Tages etwa 1 200 vollkommen unschuldige Zivilisten bestialisch und verwerflich gemeuchelt und ermordet haben.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Die Kassam-Brigaden, die teilweise unter Drogen standen, haben vom Baby über das Kleinkind und die Schwangere bis hin zum Greis alles gemeuchelt, ermordet, hingerichtet, was ihnen in den Weg gekommen ist. Ich sage ganz offen: Wenn man wie ich im letzten Jahr die Gelegenheit hatte, sich auf dem Gelände des Supernova-Festivals aufzuhalten, nur wenige Kilometer vom Gazastreifen entfernt, und durch die Reihen zu gehen, wo jetzt Erinnerungsbilder der ermordeten Jugendlichen zu sehen sind, 364 insgesamt - sie hatten sich auf einem Rave-Festival getroffen, um friedlich zu feiern, und wurden dort umgebracht -, dann hat man sehr viel Verständnis dafür, dass Israel jetzt eine Doktrin hat: Das, was am 7. Oktober 2023 passiert ist, darf Israel niemals wieder passieren. Dafür habe ich persönlich sehr viel Verständnis.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Es ist deshalb vollkommen legitim, dass sich Israel selbst verteidigt. Die Hamas, eine der brutalsten und verwerflichsten Terrororganisationen, hätte es ja selbst in der Hand: Sie hat nach wie vor Dutzende Menschen in Geiselhaft im Gazastreifen. Sie könnte jederzeit - heute, morgen - alle Geiseln freigeben. Sie gibt ja nicht einmal die Leichen frei! Es ist mit das Verwerflichste und das Schändlichste, was es gibt: den Angehörigen nicht einmal die Leichen der Ermordeten zu übergeben. Die Hamas könnte heute alles beenden, wenn sie die Geiseln freigibt, wenn sie sich ergibt. Das ist die Kausalkette, die zu berücksichtigen ist. 

(Beifall bei der CDU/CSU - Violetta Bock (Die Linke): Und Sie könnten aufhören, Waffen zu liefern!)

Ich sage auch eines ganz deutlich: Wir als Deutschland sind in diesem Konflikt nicht neutral. Wir haben eine besondere Verantwortung gegenüber Israel.

(Zuruf von der Linken: Wir haben auch eine Verantwortung für universelle Menschenrechte! - Zuruf der Abg. Cansin Köktürk (Die Linke))

Es ist schon oftmals zitiert worden: Es gehört zur deutschen Staatsräson, dass wir das Existenzrecht und die Sicherheit Israels zu bewahren haben. 

Natürlich: Unter Freunden muss man auch Kritik üben; das ist vollkommen legitim. Ich sage auch ganz offen: Die humanitäre Situation im Gazastreifen ist katastrophal. Wenn man hört, dass kaum mehr ein Bewohner des Gazastreifens, kein Kind, kein alter Mensch, 

(Cansin Köktürk (Die Linke): Ja, warum denn? Weil Sie Waffen liefern!)

am Tag mehr als 1 000 Kalorien zu sich nehmen kann, dann muss einen dies aufwecken; keine Frage. Die humanitäre Situation im Gazastreifen ist nicht hinnehmbar, und Israel hat natürlich eine Mitverantwortung, wenn es darum geht, zur Verbesserung der Situation beizutragen. 

(Marcel Bauer (Die Linke): Auch für die 50 000 getöteten oder verletzten Kinder!)

Das gehört zur Wahrheit dazu. Auch Deutschland wird weiterhin seinen Beitrag dazu leisten.

(Zurufe der Abg. Violetta Bock (Die Linke) und Cansin Köktürk (Die Linke))

Es ist natürlich auch klar festzuhalten, dass Israel in seinem legitimen Selbstverteidigungsrecht immer auch die Grundsätze der Angemessenheit und der Verhältnismäßigkeit zu wahren hat. Natürlich hat Israel sich an Recht und Gesetz zu halten; keine Frage. 

(Cansin Köktürk (Die Linke): Tun sie nicht! Wegen Ihren Waffen!)

Wenn sie dies nicht tun, dann ist das ihnen gegenüber auch entsprechend zu kritisieren. 

Aber ich sage ganz offen: Diese sehr einseitige, diese sehr undifferenzierte Kritik von Ihnen, von den Linken, an Israel 

(Violetta Bock (Die Linke): An Netanjahu!)

wird der Sache in keiner Weise gerecht. 

(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich sage auch ganz offen: Die letzte Partei hier im Haus, die das Recht hat, hier von oben herab arrogant, wohlfeil, naseweis 

(Cansin Köktürk (Die Linke): Sie sind arrogant! 50 000 Kinder sind tot!)

gegenüber den Israelis aufzutreten, das sind Sie als Linke. 

(Cansin Köktürk (Die Linke): 50 000 Kinder!)

Ich rufe Ihnen als Linke ganz deutlich zu: Klären Sie innerparteilich erst mal Ihr Verhältnis zu den antisemitischen Strömungen in Ihrer Partei! 

(Beifall bei der CDU/CSU und der AfD - Steffen Bilger (CDU/CSU): So sieht es aus! - Jens Spahn (CDU/CSU): So nämlich! Gesichert linksextrem! - Zuruf der Abg. Cansin Köktürk (Die Linke))

Klären Sie endlich mal in Ihrer Partei Ihr Verhältnis zu autoritären Regimen wie Russland, wie dem Iran, wie Venezuela!

(Cansin Köktürk (Die Linke): Das tun wir! Lenken Sie nicht ab! Sie lenken ab! 50 000 tote oder verletzte Kinder wegen Ihren Waffen!)

- Ich lenke in keiner Weise ab.

(Cansin Köktürk (Die Linke): Wegen Ihren Waffen sterben diese Kinder! - Jens Spahn (CDU/CSU): „Gesichert linksextrem“, kann ich da nur sagen!)

Ich sage ganz offen: Dieser Konflikt ist nicht einfach zu lösen, und der Blick von außen auf diesen Konflikt ist natürlich immer differenziert vorzunehmen. 

(Johannes Volkmann (CDU/CSU), an die Abg. Cansin Köktürk (Die Linke) gewandt: Sie sind eine Hamaspropagandistin! - Gegenruf der Abg. Cansin Köktürk (Die Linke): Wir kritisieren die Hamas!)

Aber was sich aus meiner Sicht verbietet, ist einseitige, von oben herab vorgenommene Kritik an Israel, einem Land, das nur von Feinden umgeben ist. 

(Zurufe der Abg. Marcel Bauer (Die Linke) und Cansin Köktürk (Die Linke))

Ob es die Hisbollah ist, ob es die Hamas ist, ob es die Huthis sind, ob es der Iran ist: Israel ist nur von Feinden umgeben. Vor diesem Hintergrund gilt es auch weiterhin, dass wir solidarisch mit Israel zu sein haben und auch sein werden. Das ist aus meiner Sicht das Gebot der Stunde. Wir sind das Land, das am stärksten zu Israel steht, und das werden wir auch bleiben. 

(Zuruf der Abg. Cansin Köktürk (Die Linke))

Das bedeutet aber im Umkehrschluss natürlich nicht, dass man nicht auch Missstände ansprechen muss. 

(Violetta Bock (Die Linke): Aber ansprechen reicht doch nicht!)

Das möchte ich wirklich in aller Deutlichkeit noch mal herausheben: Das Gebot der Humanität ist es, dass die Situation im Gazastreifen schnellstmöglich verbessert wird. 

(Cansin Köktürk (Die Linke): Hören Sie auf, zu reden! Wirklich, das ist peinlich!)

Aber das tut man nicht, indem man von oben herab naseweis Israel kritisiert, sondern indem man unter Freunden gemeinsam mit Israel einen Weg findet, die Situation im Gazastreifen vor allem für die zivile Bevölkerung im Gazastreifen zu verbessern. 

(Beifall bei der CDU/CSU - Cansin Köktürk (Die Linke): Dan fahren Sie mal nach Gaza! Dann fahren Sie da mal hin und leben dort! - Gegenruf des Abg. Alexander Arpaschi (AfD): Ich kann die Rede nicht mehr verstehen!)

Mit das Verwerflichste ist ja, dass die Hamas - wie gesagt, eine der brutalsten und schrecklichsten Terrororganisationen auf der gesamten Welt -leider Gottes die eigene Bevölkerung im Gazastreifen instrumentalisiert und - ich sage es ganz offen - auch in Geiselhaft nimmt. Die unschuldigen Menschen im Gazastreifen sind ja zuvorderst Opfer der eigenen Terrororganisation. 

Vor diesem Hintergrund gibt es hier keine einfachen Antworten. Es verbieten sich aus meiner Sicht auch sehr einseitige und wohlfeile Ratschläge von außen. Das Gebot der Stunde ist, dass man mit den Freunden spricht, dass man durchaus auch offen Dinge anspricht, 

(Zuruf der Abg. Cansin Köktürk (Die Linke))

die nicht in Ordnung sind - und die gibt es auch seitens Israels, seitens der IDF -, aber nicht von oben herab, nicht arrogant.

(Violetta Bock (Die Linke): Naseweis!)

In diesem Sinne hoffe ich, dass die Bundesregierung diesen Kurs der Mitte und der Solidarität mit Israel fortführen wird. 

Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der AfD)

Vizepräsident Omid Nouripour:

Vielen Dank. - Nächste Rednerin ist Beatrix von Storch von der AfD. 

(Beifall bei der AfD)

Beatrix von Storch (AfD): 

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dieser Gaza-Antrag zeigt: Die Linke ist der parlamentarische Arm des radikalen Palästinenserprotestes. Und das ist hochgefährlich.

(Beifall bei der AfD)

Die Linke geht den Weg des Radikalen Jean-Luc Mélenchon in Frankreich. Sie von der Linken schmieden einen Teufelspakt zwischen Linksextremen und Islamisten. Sie mobilisieren aufgehetzte Muslime, um die Straße zu erobern, und wollen deswegen immer noch mehr davon hierherholen. 

Wer in einer so aufgeheizten Stimmung von „Genozid in Gaza“ und „Apartheidstaat Israel“ spricht, der nimmt mit offenen Augen in Kauf, dass Juden und Andersdenkende angegriffen werden oder Synagogen brennen, oder er will das sogar. Der frühere Berliner Kultursenator Klaus Lederer trat zusammen mit vier weiteren führenden Genossen aus Ihrer Partei aus. Grund: der krasse Antisemitismus in Ihren Reihen. 

(Zuruf des Abg. Cem Ince (Die Linke))

Der „Tagesspiegel“ nennt Neukölln das „Epizentrum der Hamas-Versteher der Berliner Linken“. Diese Hamasversteher innerhalb der Linken haben Ferat Koçak als Direktkandidaten aufgestellt,

(Zuruf der Abg. Cansin Köktürk (Die Linke))

und dann ist er von den Linksextremen und den eingebürgerten Islamisten hier direkt in dieses Haus gewählt worden. 

(Cem Ince (Die Linke): Ja, im Gegensatz zu Ihnen!)

Liebe Union, wenn Sie bei der Migration nicht drastisch umkehren, ist Ferat Koçak nur die Vorhut. 

(Beifall bei der AfD)

Linken-Parteivorstandsmitglied Ulrike Eifler postete gar Großpalästina ohne Israel. Genau das ist auch die Botschaft in Ihrem Antrag: „From the River to the Sea“ - Israel ins Meer. 

(Cansin Köktürk (Die Linke): Haben Sie den Antrag gelesen?)

Sie werfen Israel Genozid vor, wollen die israelische Regierung vor Gericht stellen. Sie fordern die einseitige Anerkennung eines Palästinenserstaates, obwohl das nur ein neuer Terrorstaat sein kann: Gaza 2.0. Oder wie es Israels Außenminister Gideon Sa’ar kürzlich hier in Berlin ausdrückte - Zitat -: 

„Sie wollen den jüdischen Staat den dschihadistischen Psychopathen ausliefern, die uns umgeben.“ 

Auch uns in Deutschland wollen Sie dem islamistischen Mob ausliefern. Sie sprechen sich gegen die Umsiedlung der Palästinenser aus, 

(Christian Görke (Die Linke): Ja!)

fordern aber gleichzeitig deren unbeschränkte Aufnahme hier. Also: Umsiedlung ist schlecht, es sei denn, die kommen alle zu uns. - Vollkommen irre! 

(Beifall bei der AfD)

Nachdem Die Linke den Osten an die AfD verloren hat, sehen Sie offensichtlich in den islamistischen Parallelgesellschaften Ihre neue Machtbasis, so wie in Berlin-Neukölln. Sie machen importierten Antisemitismus zum politischen Treibstoff für die Eroberung von Bezirksversammlungen, Rathäusern und Parlamenten 

(Desiree Becker (Die Linke): Sie sind doch die Echokammer dafür!)

mit der Unterstützung muslimischer Wähler, so wie Mélenchon. 

Es gibt in diesem Haus eine Partei, die mit Islamisten paktiert und die wahrlich eine Gefahr für die Demokratie und die freiheitlich-demokratische Grundordnung ist, 

(Desiree Becker (Die Linke): Die AfD!)

und die sitzt da links. 

(Beifall bei der AfD)

Vizepräsident Omid Nouripour:

Die nächste Rede hält Dr. Ralf Stegner für die SPD. 

(Beifall bei der SPD)

Dr. Ralf Stegner (SPD): 

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Man kann über dieses Thema im Deutschen Bundestag nicht reden, ohne die Lehren aus unserer Geschichte zu bedenken, die da heißen: Die Würde des Menschen ist unantastbar, die Würde aller Menschen ist unantastbar. Das Völkerrecht, das humanitäre Völkerrecht gilt weltweit und für jeden. Und wir haben eine besondere Verantwortung für die Sicherheit des Staates Israel.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der Linken)

Man hat zunächst festzustellen, dass das, was am 7. Oktober 2023 stattgefunden hat, ein grausamer Terroranschlag gegen Unschuldige war. Menschen sind umgebracht worden, Menschen sind entführt worden, und mit den Familien wurde furchtbar Schindluder getrieben. Israel hat jedes Recht zur Selbstverteidigung, und wir haben eine besondere Verantwortung, Israel bei dieser Selbstverteidigung zu unterstützen.

Wir müssen aber auch feststellen: Wir haben eine humanitäre Katastrophe in Gaza. Wir haben tägliche Verletzungen des Völkerrechts durch die Siedlungspolitik im Westjordanland. Wenn Kinder verhungern, wenn Krankenhäuser bombardiert werden, wenn humanitäre Hilfe nicht geleistet wird, wenn Zehntausende Tote zu beklagen sind, dann dient das nicht der Sicherheit und dem Kampf gegen Terrorismus, sondern schürt neuen Terrorismus und Unsicherheit, weil die jungen Generationen im Hass aufeinander aufwachsen. Das ist das Gegenteil von dem, was nötig und richtig ist. 

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der Linken)

Die Unterstützung für den Staat Israel, die nicht in Zweifel gestellt werden darf - schon gleich gar nicht vom Megafon aus -, ist nicht die Unterstützung für die Regierung Netanjahu, 

(Beifall bei Abgeordneten der Linken)

die teilweise öffentlich propagiert, dass Menschen deportiert werden sollen.

Was ist zu tun? Erstens müssen die Geiseln freigelassen werden, und zwar sofort und ohne jede Vorbedingung.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der Linken)

Zweitens. Wir brauchen eine Waffenruhe; denn ohne Waffenruhe ist es nicht möglich, Sicherheit herzustellen, die Geiseln zu befreien oder für Humanität zu sorgen.

Drittens. Wir brauchen nicht nur symbolische, sondern ausreichende humanitäre Hilfe. Es dürfen nicht weiter Kinder verhungern, es dürfen nicht Menschen ums Leben kommen, weil wir nicht zulassen, dass humanitäre Hilfe dort ankommt.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der Linken)

Viertens - das richtet sich an uns und an die europäischen Kollegen - müssen wir endlich dafür sorgen, dass diese alte Idee der Zweistaatenlösung auch vorankommt; denn es wird nur Sicherheit geben, wenn Israel in Sicherheit und die Palästinenser in Selbstbestimmung leben können. Beides ist erforderlich, wenn wir wollen, dass es Frieden gibt.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der Linken)

Wir reden hier auch über unsere Glaubwürdigkeit. Es ist nicht glaubwürdig, wenn deutsche Waffen dazu dienen, die humanitäre Katastrophe zu verlängern oder womöglich gar Völkerrechtsverletzungen mitzuverursachen. Es ist nicht glaubwürdig, wenn wir wochenlang über das eine reden und zum anderen schweigen. Es ist nicht glaubwürdig, wenn wir nicht protestieren, wenn Ägypten die Grenzen schließt und sich arabische Staaten überhaupt nicht um den Hamasterror kümmern. Es ist nicht glaubwürdig, wenn wir Antisemitismus in Deutschland zulassen und dabei zusehen, dass Menschen auf der Straße keine Kippa mehr tragen können und dass Menschen wieder bedroht werden, weil sie jüdischen Glaubens sind. Das ist eine Schande!

(Beifall bei der SPD und der Linken sowie des Abg. Helge Limburg (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Es ist auch nicht glaubwürdig, wenn ausgerechnet diejenigen, die Geschichtsrevisionismus betreiben und selbst für Deportationen sind, sich hier als die Unterstützer Israels aufführen. Das ist auch nicht glaubwürdig, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD und der Linken sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des Abg. Helge Limburg (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Und ja, wir haben eine besondere Verpflichtung, daran mitzuwirken, dass all das, wovon ich gesprochen habe, auch geschieht - gerade wir. Das ist die Lehre aus unserer Geschichte. Wir haben hier Marcel Reif gehört, der über seinen Vater, einen Holocaustüberlebenden, gesprochen hat. Dieser hat gesagt: „Sej a Mensch!“

Wir reden über Menschen. Humanität ist etwas, was wir, glaube ich, in allen möglichen Zusammenhängen häufig vernachlässigen. Humanität ist nicht alles, aber ohne Humanität ist alles nichts; so könnte man in Abwandlung eines bekannten Zitates sagen. 

Wir sind Menschen. Wir sollten dafür sorgen, dass menschliches Leid aufhört. Dazu sollten wir einen Beitrag leisten. Das wäre mal eine gute Rolle für Deutschland in der Welt.

(Beifall bei der SPD und der Linken sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsident Omid Nouripour:

Vielen Dank. - Ich erteile das Wort zur nächsten Rede Lea Reisner für Die Linke.

(Beifall bei der Linken)

Lea Reisner (Die Linke): 

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Die aktuelle Lage im Gazastreifen ist eine Schande für die Weltgemeinschaft. Wir beobachten Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Livestream. 

Letzte Woche habe ich einen Freund getroffen, der aus einem humanitären Einsatz aus Gaza zurückgekommen ist. Und was er berichtet, lässt einen nicht mehr schlafen. Er hat gesehen, wie Menschen unter permanenter Drohnenüberwachung durch verminte Gebiete laufen, wie Kinder dehydriert auf dem Boden liegen, wie die Verzweiflung der Menschen jeden Tag wächst. Die medizinische Infrastruktur liegt in Trümmern. Hunderte meiner Kolleginnen und Kollegen im Gesundheitswesen sind israelischen Bomben zum Opfer gefallen, und 15 von ihnen wurden gezielt erschossen - sie waren erkennbar im Einsatz für Menschen. 

Seit März ist keine einzige unabhängige Hilfslieferung mehr nach Gaza gelangt. Stattdessen wurde die sogenannte Gaza Humanitarian Foundation gegründet - eine private Stiftung, angemeldet in der Schweiz, kontrolliert vom israelischen Militär, unterstützt von US-Söldnern. Laut dem Internationalen Komitee vom Roten Kreuz wurden alleine in den letzten Tagen 50 Menschen getötet, als sie eine Verteilstelle erreichen wollten. 

Artikel 23 der Genfer Konvention verpflichtet alle Konfliktparteien zum ungehinderten Zugang zu Hilfe - unparteilich, neutral und unabhängig. Was derzeit geschieht, ist genau das Gegenteil: Humanitäre Hilfe wird als Waffe gegen eine Bevölkerung eingesetzt, die seit 19 Monaten im Krieg lebt. Das alles geschieht nicht im Verborgenen. Es passiert im vollen Wissen der Weltöffentlichkeit, und es passiert mit Unterstützung dieser Bundesregierung.

(Beifall bei der Linken)

Wir sehen in Gaza Menschen, die unter Lebensgefahr gegen die Hamas protestieren. Und wir sehen in Israel einen Teil der Zivilbevölkerung, die sich zunehmend gegen die eigene Regierung stellt. Über 100 000 Reservistinnen und Reservisten verweigern den Dienst. Es sind die Familienangehörigen der Geiseln, die aktuell einen Waffenstillstand und ein Ende des Krieges fordern. In Marseille weigern sich Hafenarbeiter/-innen, Rüstungsgüter nach Israel zu verladen. Zu Hunderttausenden protestieren Menschen weltweit gegen die genozidale Kriegsführung. Diese Stimmen brauchen unsere Unterstützung. Die Kriminalisierung dieser Proteste muss endlich aufhören.

(Beifall bei der Linken)

Menschenrechte müssen gewahrt werden. Deswegen fordern wir einen sofortigen Waffenstillstand und die Freilassung der Geiseln, den freien Zugang für unabhängige Hilfsorganisationen, den sofortigen Stopp aller Waffenexporte, eine unabhängige Untersuchung aller Kriegsverbrechen in der Region und die Überprüfung der Assoziierungsabkommen mit Israel.

(Beifall bei der Linken)

Eines Tages werden alle dagegen gewesen sein. Schauen Sie nicht weg! Warten Sie nicht auf „eines Tages“!

Vielen Dank.

(Beifall bei der Linken)

Vizepräsident Omid Nouripour:

Vielen Dank. - Ich erteile das Wort Dr. Jonas Geissler für die Union.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Dr. Jonas Geissler (CDU/CSU): 

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Leid ist unendlich groß. Und dennoch kann man in diesen Tagen auch den Eindruck gewinnen, dass der Hass viel größer ist. Man erlebt diesen Hass auf propalästinensischen Demonstrationen. Man muss die Hamas als das bezeichnen, was sie ist: eine Terrororganisation.

(Beatrix von Storch (AfD): Da schüttelt Herr Koçak den Kopf! Das war klar!)

Man erlebt diesen Hass, wenn man differenziert den 7. Oktober als Ursache für alles Folgende beschreibt. Man begreift diesen Hass, wenn man die Sicherheitsmaßnahmen bei jüdischen Einrichtungen hierzulande sieht oder sich Menschen die Frage stellen, ob man in Berlin mit einer Kippa unterwegs sein kann.

(Max Lucks (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ja, das stimmt!)

Ich habe mir gerade in den letzten beiden Monaten oft die Frage gestellt, ob die Menschen in Gaza wohl selbst noch hassen und wie sie das tun, ob sie noch die Kraft haben, wo es doch bei vielen ums Überleben geht. Bei mir hat sich der Satz eines palästinensischen Vaters von drei Kindern ganz tief eingebrannt: Die Welt diskutiert über unsere Existenz, während wir hungern. Aber wir brauchen keine Ansprache. Wir brauchen Brot. 

Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Leid der Menschen in Gaza ist unendlich groß. Es ist das Leid der Verhungernden. Es ist das Leid derer, die krank sind und keine medizinische Versorgung erhalten.

(Ferat Koçak (Die Linke): Deshalb die Proteste!)

Es ist das Leid von mehr als 50 000 Menschen, die seit Beginn dieses Krieges in Gaza ihr Leben verloren haben. Es ist das Leid der Hoffnungslosen und derer, die mittlerweile überhaupt nicht mehr versorgt werden, weil die vier - vier! - Ausgabestellen der GHF wegen Reparaturen geschlossen sind. 

Es ist aber auch das Leid der Geiseln, falls sie denn noch am Leben sind, der Überlebenden des Hamasterrors jenseits der Grenzen Gazas und der Angehörigen jener 1 200 bestialisch ermordeten Menschen, nur weil sie Juden waren. Und es ist das Leid der Menschen in Gaza, die selbst Opfer der Hamas werden, weil sie als menschliche Schutzschilde missbraucht werden, obwohl sie mit dem Hass auf Israel aufgewachsen sind. Es ist das Leid derer, die in Gaza gegen die Hamas demonstrieren, die sich der Terrororganisation widersetzen und deswegen hingerichtet werden. 

Ich glaube, dass es wahrscheinlich keinen Konflikt gibt, der so facettenreich ist wie der Nahostkonflikt. Das kriegen wir in der Debatte, wie wir sie heute führen, in der vollen Breite - in der vollen Breite! - mit. 

In Israel wird seit 1948 immer wieder eine Geschichte erzählt. Und diese Geschichte hört sich ganz anders an, je nachdem, wer sie erzählt. Wer schon mal in Israel und Palästina war, hört diese Geschichte, diese Lehre von Hass und Vergeltung, von Verlust und Leid, von Terror und Tyrannei, von Schuld und Sühne, von Rache und Verantwortung. Aber das alles spielt heute keine Rolle. Denn die Menschen in Gaza brauchen Brot. 

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich persönlich lehne den Antrag der Linken ab, weil ich - teilweise mit Erschrecken - festgestellt habe, wie Sie die Debatte führen, wie Sie auf Ihrem Parteitag vor nicht einmal vier Wochen die gängige Antisemitismusdefinition aufgegeben haben und damit auch ein Stück weit die Staatsräson, die uns in der Mitte dieses Hauses immer geeint hat, verlassen haben.

(Beifall bei der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Unsere Solidarität gilt natürlich immer Israel; denn wir haben eine Verantwortung, die unteilbar ist, die größer ist als alles andere, die sich auch aus unserer eigenen Geschichte speist. Aber diese Solidarität bedeutet nicht, dass wir am Ende die Augen vor dem verschließen, was in Gaza passiert. Sie verpflichtet uns auch dazu, dass wir unsere Freunde und Partner darauf hinweisen, was passiert und was nicht sein darf; denn das Leid ist unendlich groß. Die Menschen brauchen Brot, und dieses Brot muss durch die Vereinten Nationen verteilt werden - gerecht, neutral, geschützt und am Ende sicher. 

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich bin der Bundesregierung über alle Maßen dankbar, dass sie in diesen Tagen genau das immer wieder anspricht - immer wieder! -, ohne dass sie dabei die Solidarität gegenüber einem unserer engsten Freunde - die Solidarität gegenüber Israel - aufgibt, sondern dies im Zeichen der Menschlichkeit tut. 

Vielen Dank. 

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsident Omid Nouripour:

Vielen Dank. - Ich erteile dem Abgeordneten Torben Braga für die AfD-Fraktion das Wort. Es ist seine erste Rede. 

(Beifall bei der AfD)

Torben Braga (AfD): 

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Was uns die Fraktion Die Linke hier vorgelegt hat, ist ein zutiefst ideologisch gefärbtes Dokument, das mit zweierlei Maß misst und der deutschen Außenpolitik den letzten Rest an Würde nehmen will. 

Selbstverständlich ist die Lage in Gaza katastrophal; das leugnet niemand. Aber Ursache dieser humanitären Katastrophe ist und bleibt der beispiellose Terrorangriff der Hamas auf Israel. Hierzu wurde gestern im Rahmen der Aktuellen Stunde und auch heute während dieser Debatte ausführlich hingewiesen. Und dennoch: Auch Israel hat sich zu verantworten. Wer monatelang Bomben über dichtbesiedeltes Gebiet abwirft, wer ganze Wohnviertel dem Erdboden gleichmacht, wer mehr als elf Wochen lang jegliche Hilfslieferungen blockiert, der verliert jeden moralischen Anspruch, sich auf ein Recht auf Selbstverteidigung zu berufen. Das ist kein präziser Gegenschlag gegen Terroristen. Das ist eine Strategie der Aushungerung, der Verzweiflung und der Demütigung einer ganzen Zivilbevölkerung. 

(Beifall bei der AfD)

Und es geht noch weiter. Wer dann auch noch auf verzweifelte Menschen schießen lässt, die versuchen, sich ein Paket Reis, ein Stück Brot und ein paar Medikamente zu sichern, der zeigt, welchen Charakter dieser Krieg inzwischen angenommen hat. Wer, wie es dokumentiert ist, mehrfach auf UN-Konvois, internationale Hilfsorganisationen und selbst auf Diplomatenfahrzeuge schießen lässt und das hinterher zu vertuschen oder zu leugnen versucht, der entzieht sich jeder zivilisierten Norm. 

Herr Präsident, meine Damen und Herren, und unsere Bundesregierung? Sie schaut weg, oder sie redet sich um Kopf und Kragen, um bloß niemandem in Tel Aviv auf die Füße zu treten. Aber Waffenlieferungen in ein Kriegsgebiet, in dem das Völkerrecht systematisch gebrochen wird, ermöglicht sie weiterhin. Anders als die Hafenarbeiter von Marseille, die sich gestern geweigert haben, Bauteile für Maschinengewehre in ein Schiff nach Haifa zu verladen, machen Sie sich, meine Damen und Herren auf der Regierungsbank, mitschuldig. Und das ist ein Verrat an unseren eigenen Werten, an unserem eigenen Land. 

Deutschland zuerst, das sollte der Anspruch jeder souveränen Politik aus diesem Hause sein. Und das heißt: keine Waffenlieferungen in Krisenregionen, keine ideologiegetriebene Außenpolitik und keine Beteiligung an Konflikten, die uns weder sicherer noch freier machen. Es bleibt daher meine Überzeugung, dass es einen sofortigen Stopp der Waffenexporte in akute Kriegs- und Krisengebiete, also auch nach Israel, braucht, solange eine Prüfung der Vereinbarkeit ihres Einsatzes mit dem humanitären Völkerrecht nicht sichergestellt ist. 

Es darf außerdem keine finanzielle oder politische Unterstützung für Terrorregime wie Hamas und ihr Vorfeld mehr geben; darauf hat mein Kollege Markus Frohnmaier gestern völlig zu Recht hingewiesen, auch in der notwendigen Schärfe. Aber es darf auch keine Blankoschecks für Netanjahus zerstörerische Politik geben. Es braucht eine Rückkehr zu einer souveränen Außenpolitik im deutschen Interesse, 

(Zuruf des Abg. Max Lucks (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

nicht im Interesse fremder Staaten oder NGO-Lobbyisten. 

Herr Präsident, meine Damen und Herren, dieser Antrag der Fraktion Die Linke ist keine Friedensinitiative. Er ist ein ideologisches Manifest. Die Bundesregierung betreibt in dieser Sache keine Diplomatie. Sie gibt ein uneinheitliches Bild ab und betreibt Unterwerfung. 

Wir sagen: Schluss damit! Für eine selbstbewusste und vor allem deutsche Außenpolitik, für eine Außenpolitik, die deutsche Interessen schützt, braucht es die starke AfD. Deutschland zuerst, alles andere ist verantwortungslos. 

Vielen Dank. 

(Beifall bei der AfD)

Vizepräsident Omid Nouripour:

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Braga. Das war Ihre erste Rede. Ich gratuliere dazu. - Die nächste Rede und die letzte in dieser Debatte hält Christoph Schmid für die Sozialdemokratie. 

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Christoph Schmid (SPD): 

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Herr Dr. Geissler, es ist wirklich schade, dass nach Ihrer guten Rede eine Rede kam, in der rund fünfmal der Begriff „Deutschland zuerst“ gekommen ist. Das ist dieser Debatte nicht angemessen. Aber behalten wir dafür Ihre Rede im Gedächtnis. 

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Nicht nur bei der heutigen Debatte zur Beendigung des Krieges in Gaza, sondern immer muss auch auf den Ausgangspunkt des aktuell andauernden Konfliktes zurückgeblickt werden. Ja, der 7. Oktober 2023 war ein Tag des Terrors. Das dürfen wir nicht vergessen, das werden wir nicht vergessen, und das dürfen wir auch nicht bagatellisieren. Der Angriff der Hamas, das Massaker, war ein dramatischer Einschnitt für die israelische Bevölkerung, und noch immer sind viel zu viele Geiseln in der Hand der Hamas. Allerdings kann der Weg, den Israel zuletzt beschritten hat, nicht der richtige sein. Und leider scheint sich die Regierung Israels immer weiter auf diesem Irrweg zu verlaufen. 

Wir werden nicht wegsehen. Uns ist bewusst, dass wir als Bundesrepublik Deutschland eine besondere Verantwortung für den Staat Israel haben. Und dennoch müssen wir einen klaren Ton gegenüber der israelischen Regierung wählen und völkerrechtswidriges Handeln als solches benennen und verurteilen. 

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)

Herr van Aken, so angemessen ich Ihre Einleitung fand, so unfair ist der Vorwurf der Untätigkeit in Richtung der Bundesregierung und der Vorgängerregierungen. Denn unsere bisherigen, oft vielleicht wohlmeinenden und diplomatischen Empfehlungen fanden bei Herrn Netanjahu kein oder nur wenig Gehör. Trotzdem haben wir es versucht, immer wieder. Und dafür bin ich der Bundesregierung sehr dankbar. 

(Beifall des Abg. Dr. Ralf Stegner (SPD))

Ich wünsche Minister Wadephul bei den künftigen Gesprächen mit der israelischen Regierung viel Erfolg, und ich hoffe, dass er auf diesem schmalen Grat die richtigen Worte findet, die Dringlichkeit eines Umdenkens noch mal zu adressieren. Aus dem Parlament haben Sie dafür die volle Rückendeckung. 

Der Antrag beschreibt die katastrophalen humanitären Zustände in Gaza sehr zutreffend; das ist unstrittig. Es ist dringend notwendig, schnell und bestimmt zu handeln und neben einer Waffenruhe auch den Zugang zu humanitären Hilfsmitteln zu ermöglichen. Trotzdem kann man den Handlungsaufforderungen des Antrags nicht zustimmen. Es ist nämlich aus meiner Sicht schon sehr wichtig, anzuerkennen, dass Israel immer noch einer existenziellen Bedrohung ausgesetzt ist. Sie scheinen diese Bedrohung anders einzuschätzen. Die Realität ist allerdings eine andere. Und ja, aufgrund dieser nach wie vor bestehenden existenziellen Bedrohung für Israel muss der israelische Staat wehrhaft und verteidigungsbereit sein. Das musste er seit seinem Bestehen. Deswegen hat dieser Staat auch eine leistungsfähige Rüstungsindustrie. Er muss wehrhaft sein in einem Maß, wie wir uns das hier nicht vorstellen können. 

Aber auch wir als SPD-Bundestagsfraktion fordern ausdrücklich, dass aus Deutschland gelieferte Rüstungsgüter nicht für völkerrechtswidrige Militäraktionen eingesetzt werden. Wir fordern den unverzüglichen Zugang zu Nahrungsmitteln. Wir fordern eine bessere Versorgung mit medizinischen Gütern und eine Verbesserung der Lebensbedingungen im Allgemeinen. 

(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Reinhard Brandl (CDU/CSU))

Aber wir müssen auch eine langfristige Perspektive schaffen. Für eine langfristige Perspektive brauchen wir Entwicklungsperspektiven und Ansprechpartner auch auf palästinensischer Seite - Ansprechpartner ohne terroristischen Hintergrund, Ansprechpartner, denen das Wohl der palästinensischen Bevölkerung wirklich am Herzen liegt. Nur dann kann eine Zweistaatenlösung Erfolg haben. Deutschland und die EU müssen sich gemeinsam mit anderen Partnern für eine langfristige und friedliche Lebensperspektive für die Palästinenser im Gazastreifen einsetzen. Das ist ein Auftrag auch aus unserer Geschichte. 

Ich wünsche der Bundesregierung im Sinne des integrierten Ansatzes eine gute ressortübergreifende Zusammenarbeit und eine starke Stimme sowohl für Israel als auch für die Palästinenser. Und ich bin mir sicher: Die Unterstützung aus dem Parlament haben Sie dafür. 

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Vizepräsident Omid Nouripour: 

Vielen Dank. - Weitere Reden sind nicht angemeldet. Damit schließe ich die Aussprache. 

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 21/350 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es weitere Überweisungsvorschläge? - Dem ist nicht so. Dann verfahren wir wie vorgeschlagen. 

Bevor ich den nächsten Zusatzpunkt aufrufe, möchte ich allen herzlich danken, dass wir bei einer Debatte, die aus guten Gründen hochemotional ist, eine sehr zivilisierte Art gefunden haben, miteinander zu sprechen. Herzlichen Dank dafür! 

(Beifall des Abg. Jürgen Coße (SPD))

Ich rufe auf den Zusatzpunkt 17: 

 

 

 

Einspruch gegen eine Ordnungsmaßnahme

gemäß § 39 der Geschäftsordnung 

 

Es gibt einen Einspruch gemäß § 39 der Geschäftsordnung des Abgeordneten Stephan Brandner gegen den ihm in der letzten Sitzung erteilten Ordnungsruf. Der Einspruch wurde als Unterrichtung verteilt. Der Bundestag hat über den Einspruch ohne Aussprache zu entscheiden. Wir kommen daher gleich zur Abstimmung. 

Wer stimmt für den Einspruch des Abgeordneten Stephan Brandner? - Das ist die AfD-Fraktion. Wer stimmt dagegen? - Das sind Union, Sozialdemokratie, Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke. Enthaltungen? - Sehe ich nicht. Damit ist der Einspruch zurückgewiesen.

Ich rufe auf den Tagesordnungspunkt 24:

 

 

 

Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Tierhaltungskennzeichnungsgesetzes

Drucksache 21/327 

Überweisungsvorschlag:

Ausschuss für Landwirtschaft, Ernährung und Heimat (f)

Ausschuss für Umwelt, Klimaschutz, Naturschutz und nukleare Sicherheit

Haushaltsausschuss

 

Für die Aussprache wurde eine Dauer von 30 Minuten vereinbart.

Bevor ich die Aussprache eröffne, warten wir, bis alle, die uns verlassen mögen, dies getan und alle, die dazukommen, sich hier eingerichtet haben, und das bitte innerhalb der nächsten drei Sekunden. - So ist es erfolgt. Danke.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Bundesminister für Landwirtschaft, Ernährung und Heimat, Alois Rainer.

Alois Rainer, Bundesminister für Landwirtschaft, Ernährung und Heimat: 

Sehr geehrter Herr Präsident! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn wir die Menschen in unserem Land fragen, was zur Landwirtschaft gehört, was würden sie wohl antworten? Sicher würden viele den Bauernhof mit Äckern, Feldern und Wiesen nennen, vermutlich auch die Maschinen wie die Traktoren und die Mähdrescher. Eines würden die Menschen aber ganz sicher nennen: Tiere wie Kühe, Schweine, Hühner, Schafe und andere. Auch das zeigt: Landwirtschaft und Tierhaltung, meine Damen und Herren, gehören zusammen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Die Nutztierhaltung in Deutschland ist unverzichtbar für unsere Agrar- und Ernährungswirtschaft, für unsere Ernährungssicherheit und für eine nachhaltige Landwirtschaft. Deutschland gehört zu den wichtigsten Produzenten von Fleisch und Milch in Europa und weltweit. Dies sorgt für eine sichere Versorgung mit Nahrungsmitteln. Tierhaltung sichert Arbeitsplätze entlang der gesamten Wertschöpfungskette - von den landwirtschaftlichen Betrieben über die Verarbeitung bis hin zum Handel - und insbesondere in den ländlichen Räumen. Unsere Tierhaltung leistet einen wichtigen Beitrag zur nachhaltigen Landwirtschaft; denn sie trägt ganz praktisch zur Kreislaufwirtschaft bei, indem sie Weiden nutzt, indem sie organischen Dünger für unsere Pflanzen auf den Feldern liefert. Auch deshalb ist Nutztierhaltung wichtig für unser Land.

Gleichzeitig, meine Damen und Herren, bewegt es viele Menschen, wie Tiere gehalten werden und wie mit ihnen umgegangen wird. Sie wünschen sich mehr Tierwohl in unseren Ställen, und das ist auch nachvollziehbar. Man kann immer besser werden. Auch bei der Tierhaltung kann noch einiges besser werden. Deshalb haben wir im Koalitionsvertrag das klare Bekenntnis formuliert: „Wir werden den Tierschutz stärken […].“ Dazu schaffen wir die geeigneten Angebote. Unser Ziel ist es, die schon bestehenden Förderprogramme auszubauen und langfristige Planungssicherheit für unsere Landwirtinnen und Landwirte zu schaffen. Das haben die Landwirtinnen und Landwirte verdient, die sich Tag und Nacht verantwortungsvoll um ihre Tiere kümmern.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Dazu möchten wir die bestehenden Förderprogramme ausbauen, anpassen und versuchen, 1,5 Milliarden Euro pro Jahr zu mobilisieren. Ich weiß natürlich auch, dass das Geld noch nicht vorhanden und auch noch nicht zur Verfügung gestellt ist. Aber ich werde für dieses Geld hart kämpfen. Denn alle müssen wissen: Wenn unsere Tierhaltung ins Ausland abwandert, wird es um das Tierwohl mit Sicherheit nicht besser bestellt sein. Genau das müssen wir verhindern.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Die Transparenz in der Wertschöpfungskette durch eine klare Kennzeichnung ist ein wichtiger Aspekt. Ich danke deshalb den Fraktionen, dass sie das Thema auf die Tagesordnung gesetzt haben. Ziel einer Kennzeichnung muss sein, Verbraucherinnen und Verbrauchern gut informierte Kaufentscheidungen zu ermöglich. Gleichzeitig ist für mich klar, dass eine verpflichtende Kennzeichnung vom ersten Tag an einwandfrei funktionieren muss. Klipp und klar: Sie muss bürokratiearm umsetzbar sein, besonders für die Länder; denn sie setzen das Gesetz um und kontrollieren seine Einhaltung. Wir nehmen ernst, dass unsere Bundesländer sagen, dass sie dazu etwas Zeit brauchen. Die Zeit wollen wir ihnen geben, damit es dann auch ordentlich vom ersten Tag an funktioniert. Daher soll die verpflichtende Kennzeichnung erst ab dem 1. März 2026 eingeführt werden. Gleichzeitig ist es aber möglich, eine freiwillige Kennzeichnung bereits vor dem 1. März vorzunehmen. Ich finde, das ist ein guter Kompromiss und ein gutes Signal an alle Beteiligten.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Meine Damen und Herren, die Nutztierhaltung ist für Deutschland aus wirtschaftlicher, ökologischer und gesellschaftlicher Sicht unverzichtbar. Sie sichert unsere Ernährung, schafft Arbeitsplätze, fördert nachhaltige Kreisläufe und steht für ständigen Fortschritt in Richtung mehr Tierwohl und Umweltschutz. Lassen Sie uns gemeinsam daran arbeiten, die Nutztierhaltung zukunftsfähig zu gestalten - für die Landwirte, für die Tiere und die Gesellschaft als Ganzes. Ich bin zuversichtlich, dass die Koalitionsfraktionen in den Verhandlungen zu einem guten Kompromiss und guten Ergebnis für alle Beteiligten kommen werden.

Danke.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Vizepräsident Omid Nouripour:

Vielen Dank, Herr Minister. - Julian Schmidt spricht als Nächstes für die AfD-Fraktion.

(Beifall bei der AfD - Stephan Protschka (AfD): Guter Mann!)

Julian Schmidt (AfD): 

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Minister Rainer! Meine Damen und Herren! Das Tierhaltungskennzeichnungsgesetz ist ein Paradebeispiel aus der Rubrik „Gut gedacht, aber sehr schlecht gemacht“. Ein vom Grundsatz sehr wichtiges Anliegen wird mit ideologischem Schubladendenken, Beratungsresistenz und schlichter Unkenntnis der praktischen Realität völlig in den Sand gesetzt.

(Beifall bei der AfD)

Meine Damen und Herren der Grünen, es ist ja nicht so, als hätten Sie es nicht besser wissen können. Alle relevanten Beteiligten, die Landwirte, die Industrie, der LEH, die Wissenschaft, ihre Freunde von den Umwelt- und Tierschutzverbänden, haben sie gewarnt. Sie haben Sie gewarnt, dass dieses Gesetz inhaltlich völlig am Ziel vorbeigeht, dass es weder für mehr Tierwohl sorgt noch für mehr Verbrauchertransparenz und dass es so auch kaum umsetzbar ist, schon gar nicht in der vorgegebenen Zeit. Deswegen ist es richtig, dass dieses Gesetz erst mal nicht zur Umsetzung kommt.

Die Frage ist aber: Wie geht es weiter? Herr Minister, dazu haben wir von Ihnen bisher und auch heute leider wenig Konkretes gehört. Mir persönlich fehlt auch ehrlicherweise die Fantasie, mir vorzustellen, wie Sie dieses inhaltlich und handwerklich wirklich schlecht gemachte Gesetz der Vorgängerregierung noch retten wollen. Ich lasse mich aber natürlich gerne von Ihnen überraschen.

In der Sache sind wir uns hier, denke ich, alle einig. Niemand ist gegen bessere Haltungsbedingungen. Ich bin selbst Rinderhalter, und ich bin froh, dass die Zeiten ganzjähriger Anbindehaltung, von dunklen, engen Ställen, in denen auch noch das kleinste Fenster im Winter verschlossen wird, so langsam, aber sicher der Vergangenheit angehören. Ich kenne auch nicht einen Landwirt in unserem Land, der das nicht genauso sieht.

(Esra Limbacher (SPD): Es geht um Schweinehalter!)

Wir haben in Deutschland sehr hohe Tierschutzstandards. Die Frage ist aber: Wie schaffen wir es, dass unsere Landwirte trotz dieser hohen Standards konkurrenzfähig bleiben? Wie schaffen wir es, dass sie einen angemessenen Anteil an der Wertschöpfung bekommen und das Geld eben nicht zum Großteil beim LEH und bei der Industrie hängen bleibt? Wie schaffen wir es, dass die Landwirte anständig von ihrer Arbeit leben können und eine Perspektive für sich und kommende Generationen sehen? Denn Tierwohl braucht auch gesunde Betriebe, und die bekommen wir nicht mit mehr Bürokratie, mehr Auflagen und mehr Kontrollen.

(Beifall bei der AfD)

So stellen Sie, meine Damen und Herren, die Tierhaltung in Deutschland aufs Abstellgleis. Dadurch haben weder Tiere noch Verbraucher irgendetwas gewonnen. Vielleicht ist das aber auch Ihr Ziel, liebe Grüne. Sie hatten ja schon immer ein Problem mit der Nutztierhaltung in Deutschland.

(Beifall bei der AfD)

Eine staatliche Tierhaltungskennzeichnung kann sinnvoll sein, wenn sie pragmatisch und alltagstauglich, im Einklang mit privatwirtschaftlichen Programmen umgesetzt wird. Dazu muss sie aber für alle Tiere, alle Produktionsabschnitte, alle Lebensmittel und vor allem auch für importierte Ware greifen. Dieses Gesetz bildet das definitiv nicht ab.

(Beifall bei der AfD)

Herr Minister Rainer, wir werden die weiteren Beratungen aufmerksam begleiten und wünschen Ihnen viel Glück bei den Verhandlungen mit Ihrem Koalitionspartner. Ich befürchte auch für unsere Landwirte, Sie werden es brauchen.

Danke schön.

(Beifall bei der AfD)

Vizepräsident Omid Nouripour:

Vielen Dank. - Jens Behrens spricht als Nächstes für die Fraktion der SPD.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Jens Behrens (SPD): 

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Bundesminister Rainer! Wir beraten heute in erster Lesung einen Gesetzentwurf, der eigentlich recht überschaubar ist. Wenn man mal die formalen Klarstellungen und die redaktionellen Änderungen außen vor lässt, stellt man fest, dass es im Grunde ausschließlich um die Verschiebung des Starts der Tierhaltungskennzeichnung im Handel geht. Aber in diesem Fall gilt ganz besonders: Aufgehoben ist nicht aufgeschoben. Für uns als SPD ist das Tierhaltungskennzeichnungsgesetz eine wichtige Errungenschaft der letzten Wahlperioden. Die Anfänge gehen auch auf die letzte schwarz-rote Koalition zurück.

Wir gehen einerseits ganz pragmatisch damit um, dass die Länder noch etwas mehr Zeit für die Einführung entsprechender Meldesysteme für die Haltungsformen der Mastschweine benötigen, und werden die Frist um sieben Monate verschieben. Andererseits wird die Kennzeichnungspflicht kommen und die Haltungsform ab dem 1. März 2026 für jede Verbraucherin und jeden Verbraucher im Handel erkennbar sein. Wie schon angeklungen, haben wir den Grundstein dafür bereits in der letzten schwarz-roten Koalition gelegt, auch wenn es seinerzeit noch keinen Abschluss gab. 

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Eine Bundeslandwirtschaftsministerin der CDU, die sehr verehrte amtierende Frau Bundestagspräsidentin, hatte 2019 einen ihrer Vorgänger, Bundeslandwirtschaftsminister a. D. Jochen Borchert, an die Spitze des Kompetenznetzwerks Nutztierhaltung berufen und damit beauftragt, mit einer großen Bandbreite an Interessenvertreterinnen und -vertretern Konzepte für die tierwohlgerechte Weiterentwicklung der Tierhaltung in Deutschland zu erarbeiten. Geeinigt hatten sich am Ende scheinbar gegensätzliche Akteure aus den Bereichen der konventionellen und der ökologischen Landwirtschaft, der Umwelt- und Naturschutzverbände, der Wertschöpfungskette, der Wissenschaft und der Verwaltungen. Die Arbeit dieser Kommission fand nicht nur eine große Zustimmung unter den Beteiligten, sondern sie wurde auch noch mal durch die seinerzeit von Bundeskanzlerin Merkel ins Leben gerufene Zukunftskommission Landwirtschaft bestätigt. In diesem Sinne sehe ich das Tierhaltungskennzeichnungsgesetz in einer Linie mit der genannten Vorarbeit und freue mich schon sehr darauf, zusammen mit unserem Koalitionspartner die bestehenden Gesetze zu optimieren und weiterzuentwickeln. 

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)

Natürlich kenne ich die Debatte darum, dass wir mit der Kennzeichnung von Frischfleisch aus der Schweinemast noch nicht den Umfang einer bestehenden privatwirtschaftlichen Kennzeichnung erreichen. Aber die neue Kennzeichnung war von Anfang an darauf ausgerichtet, um weitere Tierarten, um verarbeitete Produkte, um die gesamte Lebensspanne und um die Außer-Haus-Verpflegung ausgeweitet zu werden. Das neue Datum, der 1. März 2026, markiert somit für die Verbraucherinnen und Verbraucher den Start für ein langgehegtes Projekt. Das Ziel ist damit aber ganz klar noch nicht erreicht, sondern wir setzen nach dem Startschuss den Weg weiter fort.

Den eingeschlagenen Weg nicht weiterzugehen, wäre fatal. Die Landwirtinnen und Landwirte brauchen Planungssicherheit und eine klare Zukunftsvision. Diese muss staatlich verbindlich sein und kann nicht von privaten Initiativen in gleichem Maße garantiert werden. Den Weg weitergehen müssen wir auch, weil es konkrete umweltpolitische, wissenschaftliche und zivilgesellschaftliche Anforderungen an eine tierwohlgerechtere Nutztierhaltung gibt, die aktuell noch nicht umfassend erfüllt sind. Das hatte auch die Borchert-Kommission als große Herausforderung angesehen und anerkannt, dass eine erfolgreiche Nutztierhaltung zwingend auf eine breite gesellschaftliche Akzeptanz angewiesen ist. 

(Beifall bei der SPD)

Zu den Maßnahmen, die seinerzeit vorgeschlagen wurden, gehören unter anderem Maßnahmen zur Erhöhung der Transparenz über Tierwohlstandards, zum Beispiel durch eine Kennzeichnung, und zur entsprechenden Information der Verbraucherinnen und Verbraucher mit dem Ziel einer höheren Zahlungsbereitschaft für Tierwohl. Genau das werden wir mit dem Tierhaltungskennzeichnungsgesetz erreichen.

Aber die Borchert-Kommission empfahl noch weitere Maßnahmen wie Modelle und Demonstrationsvorhaben, zu denen auch der Schweinestall der Zukunft im Haus Düsse in meinem Wahlkreis zählt. Empfohlen wurden auch der Aufbau eines Tierwohl-Monitorings unter Definition von Tierwohl- und Tiergesundheitsindikatoren, die Weiterentwicklung des Ordnungsrechts, die Formulierung von gesetzlichen Mindeststandards für bisher nicht einbezogene Bereiche, zum Beispiel durch eine Novelle zur Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung.

Es gibt also noch einige Stellschrauben mehr, an denen wir drehen müssten, um die gesellschaftlichen Ziele zu erreichen. Dabei dürfen wir nicht vergessen, dass es schon einige Male vorkam, dass höchstrichterliche Entscheidungen den Gesetzgeber zu Gesetzesänderungen verpflichteten. Ich erinnere an das Kastenstandurteil zur Sauenhaltung und das Urteil zum Töten von männlichen Küken aus Legelinien. Vor dem Bundesverfassungsgericht ist auch noch der Normenkontrollantrag des Landes Berlin gegen Haltungsbedingungen von Schweinen offen. Auch vonseiten der EU-Kommission könnte es irgendwann ein Vertragsverletzungsverfahren wegen des routinemäßigen Kürzens von Schweineschwänzen in Deutschland geben.

Wir sollten realistisch bewerten, was auf die Landwirtinnen und Landwirte in den nächsten Jahren zukommen könnte, und mit ihnen gemeinsam eine zukunftssichere Tierhaltung gestalten, die nicht Gefahr läuft, durch die Rechtsprechung kurzfristig vor Umbrüche gestellt zu werden. 

(Beifall bei der SPD)

In diesem Sinne sehe ich das Tierhaltungskennzeichnungsgesetz als eines von vielen wichtigen Beiträgen. Natürlich geht auch vieles nicht ohne Geld. Aber das wird noch mal ein ganz anderes Thema werden, das wir zu gegebener Zeit, Herr Minister, gerne gemeinsam in der Koalition besprechen werden.

Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Vizepräsident Omid Nouripour:

Herzlichen Dank. - Die nächste Rede hält Dr. Zoe Mayer für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. 

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Dr. Zoe Mayer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): 

Herr Präsident! Herr Minister Rainer! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Union, wem machen Sie denn eigentlich was vor? Sie wollen heute das Projekt der Tierhaltungskennzeichnung verzögern, und das unter dem Argument der Praxistauglichkeit. Tatsache ist ja, dass Sie in den vergangenen Monaten wirklich alles dafür getan haben, dass dieses Projekt sich verzögern muss. Sie haben so hart dagegen gekämpft, auch die unionsgeführten Ministerien auf Landesebene.

(Johannes Steiniger (CDU/CSU): Wir waren in der Opposition!)

Die Union spricht gerne von Planungssicherheit. Das konterkariert ja das ganze Projekt. Landwirtinnen und Landwirte, die sich darauf eingestellt haben, sind mal wieder die Gelackmeierten.

(Johannes Steiniger (CDU/CSU): Nur die Hälfte der Bauern ist überhaupt registriert! Informieren Sie sich mal über die Zahlen!)

Denn durch diese Verzögerung werden letztlich immer die, die sittlich arbeiten, bestraft. Das ist eigentlich kein guter Anspruch. 

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir kennen das ja schon von der Automobilindustrie, der Digitalisierung und der Deutschen Bahn: Wenn die Union von Praxistauglichkeit spricht, dann müssen bei uns alle Alarmglocken angehen. Denn das bedeutet meistens, dass eine Branche wieder in der Vergangenheit festzustecken droht. Das wollen wir natürlich nicht. 

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Johannes Steiniger (CDU/CSU): Unsinn!)

Die Menschen in Deutschland wünschen sich Transparenz bei der Tierhaltung. 90 Prozent der Menschen in Deutschland unterstützen eine staatliche Tierhaltungskennzeichnung und wünschen sich diese Transparenz - übrigens auch der Bürgerrat „Ernährung im Wandel“, der diese Forderung noch einmal bekräftigt hat.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Menschen in Deutschland sollten ein Recht darauf haben, zu wissen, wie die Tiere hier eigentlich gehalten werden. Dass eine staatliche Tierhaltungskennzeichnung funktionieren kann, sehen wir am Beispiel der Eier. Aus unseren Frischeierregalen sind Eier aus Käfighaltung verschwunden, seit wir die staatliche Tierhaltungskennzeichnung dort eingeführt haben. Aber was viele nicht wissen, ist, dass der Anteil an Eiern aus Käfighaltung immer noch beträchtlich ist. Viele solche Produkte befinden sich immer noch in Backwaren oder in den Speisen der Gastronomie. Deswegen ist es wichtig, dass wir bei der Tierhaltungskennzeichnung schnell vorankommen, was verarbeitete Produkte, die Außer-Haus-Gastronomie und alle anderen Tierarten anbelangt. 

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Denn nur so gibt es auch eine Durchdringung des Marktes und die Verbrauchertransparenz, die sich alle wünschen.

Das ist übrigens auch fair für die Landwirtschaft; denn natürlich soll höhere Qualität durch den Markt belohnt werden. So eine Kennzeichnung ist letztlich für alle eine sehr gute Sache. Deswegen unterstützen wir Grünen das natürlich auch und freuen uns, dass Minister Rainer sich zu diesem generellen Projekt noch einmal bekannt hat, auch wenn es jetzt nicht so schnell geht, wie wir uns das eigentlich wünschen.

Eine Sache, die für mich ein bisschen skandalös ist, ist, dass die Union mal wieder angekündigt hat, dafür zu kämpfen, dass auch niedrigste Haltungsstandards künftig mit mehr Geld der Steuerzahler subventioniert werden sollen. Und alles, was auf dem heimischen Markt nicht abgesetzt werden kann - sowohl der Einzelhandel als auch die Menschen in Deutschland wollen solche niedrigen Haltungsstandards eigentlich nicht mehr haben -, soll einfach exportiert werden. Das ist dann wohl die Exportstrategie, die die Union im Koalitionsvertrag angekündigt hat. Wir hoffen, dass die SPD ihr nicht auf den Leim geht. Denn es kann eigentlich nicht sein, dass wir auf dem Rücken der Schwächsten, die heute in der Debatte natürlich nicht mitreden können, niedrige Standards ausbauen und die entsprechenden Produkte dann in alle Welt exportieren. Wir sind es doch unseren Tieren, der Umwelt und unseren Landwirtinnen und Landwirten, die sauber arbeiten, schuldig, hier kein Geld mehr zu versenken. 

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Zum Schluss bleibt mir noch eines zu sagen: Mehr Tierschutz funktioniert natürlich nur dann, wenn insgesamt weniger Tiere auf den Tellern landen.

(Enrico Komning (AfD): Die sind aber lecker!)

Wenn wir wollen, dass die 750 Millionen Tiere, die jedes Jahr in deutschen Schlachthöfen sterben, zu einem Standard gehalten werden, wie ihn sich die Menschen in Deutschland vorstellen, dann bräuchten wir zweimal die Fläche Deutschlands, und das ist schlicht unmöglich. Deswegen ist klar: Das beste Label für den Tierschutz, auch wenn wir die Tierhaltungskennzeichnung ganz dringend brauchen, ist wahrscheinlich immer noch ein Vegan-Label oder häufiger mal der Griff ins Obst- und Gemüseregal.

(Johannes Steiniger (CDU/CSU): Ideologie pur! - Zurufe von der AfD)

- Genau! Auch wenn Ihnen das nicht gefällt. - Mehr Gemüse und Obst auf dem Teller schadet niemandem und hilft vor allem den Tieren. Dafür kämpfen wir natürlich auch weiterhin.

Ganz herzlichen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsident Omid Nouripour:

Herzlichen Dank. - Die nächste Rede hält Ina Latendorf für die Fraktion Die Linke.

(Beifall bei der Linken)

Ina Latendorf (Die Linke): 

Sehr geehrter Herr Präsident! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Das Tierhaltungskennzeichnungsgesetz - einst Vorzeigeinitiative der Ampel - soll durch die Koalition nun geändert werden. Die Fehler von vor zwei Jahren werden aber nicht geheilt: ein Gesetz, das Länder verpflichtet, die aber einfach nicht mitreden dürfen und deren Appell in der Agrarministerkonferenz ignoriert wurde. Ich habe hier mehrfach Nachfragen zur Umsetzung gestellt und auf Schwierigkeiten hingewiesen. Das wurde weggewischt. Die Verlängerung der Übergangsfrist, eben weil die Umsetzung nicht funktioniert, ist nachvollziehbar. Aber werden Sie mit dieser Vorlage auch die Grundfehler des Gesetzes beheben? Nein. Und das ist eine Farce.

Fehler eins. Das Tierhaltungskennzeichnungsgesetz erfasst bisher nur Schweine, keine andere Tierart. 

Fehler zwei. Das Tierhaltungskennzeichnungsgesetz gilt nur für die Kennzeichnung von Frischfleisch; wir haben es gerade gehört. Was ist mit dem Rest?

Fehler drei. Nur ein Lebenszyklus des Schweins wird in der Mastphase überhaupt erfasst. Die Kennzeichnung bildet also nur den Bruchteil eines Bruchteils der Lebensrealität der gehaltenen Tiere ab. Und das ist Verbrauchertäuschung.

(Beifall bei der Linken)

Ja, eine staatliche Kennzeichnung könnte das Vertrauen der Verbraucherinnen und Verbraucher stärken, wenn sie wirklich ehrlich wäre. Ein Beispiel gefällig? Wenn ein Ferkel aus schlechter Haltung angekauft wird, spielt das später überhaupt keine Rolle. Es kann in der höchsten Haltungsstufe vermarktet werden, wenn nur die Haltung während der Mast der Stufe entspricht. Ebenso werden Transport und Schlachtung überhaupt nicht betrachtet. Und noch mal: Das ist Verbrauchertäuschung, meine Damen und Herren.

Das Pferd - oder sollte ich sagen: das Schwein? - wird hier von hinten aufgezäumt. Sie sollten erst die Nutztierhaltung tiergerecht mit Mindeststandards definieren. Für viele Tierarten wie zum Beispiel Puten gibt es noch nicht einmal Haltungsverordnungen, die das Tierwohl sichern. Keine Frage, es gibt Tierhalter/-innen, die das auch schon von sich aus tun, aber eben nicht alle. Die Redlichen werden benachteiligt.

(Beifall bei der Linken)

Wenn diese Haltungsordnungen feststehen, dann sollte man die Kennzeichnung verbindlich einführen. Auch diesen Fehler behebt die Bundesregierung nicht und hat nach den bisherigen Verlautbarungen hierzu auch keine Ambitionen.

Wirklicher Tierschutz erfordert wesentlich mehr als die Abbildung eines Status quo. Quälerische Haltungsbedingungen schaffen Sie eben nicht dadurch ab, indem Sie „Stall“ oder „Stall plus Platz“ auf eine Plastikverpackung kleben. Und nein, wer den Tierschutz wirksam stärken will, der muss das veraltete Tierschutzgesetz oder Nutztierhaltungsregelungen endlich anpacken. Glauben Sie mir, wir Linken sind Ihnen nicht böse, wenn Sie mal in unseren Antrag von letzter Woche schauen und darauf zurückgreifen.

(Beifall bei der Linken)

Über Haltungsstufen und Tierhaltung wurde hier einiges gesagt. Ich kann nur sagen: Ihre Haltungsnoten im Hinblick auf Tierschutz bleiben eine Fünf.

Vielen Dank.

(Beifall bei der Linken)

Vizepräsident Omid Nouripour:

Vielen Dank. - Als Nächstes spricht Benedikt Büdenbender für die Unionsfraktion. Es ist seine erste Rede.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Benedikt Büdenbender (CDU/CSU): 

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Man hat manchmal den Eindruck, der ehemalige Landwirtschaftsminister Cem Özdemir wollte das Land führen wie in einem Öko-Utopia: mit grünen Wunschvorstellungen, die mit der Realität wenig zu tun haben. Das kann man machen, hilft am Ende aber weder den Verbrauchern noch den Landwirten.

(Beifall bei der CDU/CSU - Johannes Steiniger (CDU/CSU): So ist es! - Albert Stegemann (CDU/CSU): So ist es! Gut auf den Punkt gebracht!

Das Tierhaltungskennzeichnungsgesetz aus dem Jahr 2023 ist ein Beispiel dafür, wie ein Gesetz aussehen kann, wenn es in Teilen an den Realitäten vorbei geplant wird. Es schafft Bürokratie statt Fortschritt und belastet Betriebe, ohne dem Tierwohl tatsächlich zu dienen. Damit wurde vor allem eins geschaffen: ein bürokratisches Kontrollinstrument, das bisher so nicht praktikabel ist. Wir werden das Gesetz daher nicht nur kosmetisch anpassen. Wir werden es entsprechend dem Koalitionsvertrag ändern und vom Kopf auf die Füße stellen.

(Beifall bei der CDU/CSU - Albert Stegemann (CDU/CSU): So ist es!)

Deswegen diskutieren wir nun das Erste Gesetz zur Änderung des Tierhaltungskennzeichnungsgesetzes. Warum müssen wir das gleich zu Beginn dieser Legislatur beraten? Ganz einfach: weil Eile geboten ist. Mit dem Ampelgesetz würden die neuen Kennzeichnungspflichten zum 1. August dieses Jahres greifen und hätten fatale Folgen für die, die es umsetzen. Das sind zuallererst die Landwirte selbst. Es sind aber eben auch die Länder, die den bürokratischen Aufwand kontrollieren müssten. 

Beide - Landwirte und Länder - haben in den vergangenen Monaten eindringlich darauf hingewiesen, dass das Gesetz so nicht praktikabel ist. Die Länder haben das in der Agrarministerkonferenz Ende März noch mal deutlich zum Ausdruck gebracht. Von den Landwirten und auch von den betroffenen Verbänden gab es zu Recht Kritik. Wörter wie „Murksgesetz“ sind da zu lesen. In persönlichen Gesprächen mit mir sind manche noch deutlicher geworden. Um aber vor allem den Grünen nicht noch mehr zuzumuten, will ich davon absehen, das jetzt hier im Deutschen Bundestag zu zitieren.

All diese Hilferufe wollte man bisher nicht hören. Wir kommen den Hilferufen jetzt nach und sorgen dafür, dass es praktikable Lösungen gibt. Mit der Änderung, die wir heute beraten, führen wir eine Notoperation durch, mit der es jetzt erst mal um eins geht: Zeit gewinnen. Denn mit unserem Eingriff verschieben wir zunächst das Inkrafttreten der Kennzeichnungspflicht vom 1. August 2025 auf den 1. März 2026. Damit ist natürlich noch keine inhaltliche Neujustierung erreicht, sondern wir verschaffen uns Luft: Luft für die Landwirte und Luft für uns hier im Parlament, die wir nutzen werden, um das Gesetz noch mal anzupacken. Und das wird uns gelingen; denn wir werden von Anfang an den Dialog mit denjenigen suchen, die das später in der Praxis auch umsetzen müssen. 

(Beifall bei der CDU/CSU - Albert Stegemann (CDU/CSU): So ist es! Praxisgerecht!)

Was muss sich zum Beispiel ändern? Zum Beispiel sollte das Verbot des Downgradings entfallen. Es ist absurd: Fleisch aus höherwertiger Haltung darf nicht als Produkt einer niedrigeren Haltungsstufe vermarktet werden, selbst dann nicht, wenn es dafür Nachfrage gibt.

(Johannes Steiniger (CDU/CSU): Total verrückt! - Albert Stegemann (CDU/CSU): So ist es! Reine Exportstrategie!)

Stattdessen schreibt das bisherige Gesetz vor, wie viel Prozent Fleisch aus dem Freiluftstall maximal in einem Produkt mit der Kennzeichnung „Stall“ enthalten sein dürfen. Das ist Bürokratismus in Reinform. Und genau damit werden wir mit der neuen Regierungskoalition Schluss machen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Esther Dilcher (SPD))

Die regulatorische Blindstelle des Gesetzes zeigt sich aber auch daran, dass Ferkel, die im Ausland betäubungslos kastriert und dann in Deutschland gehalten werden, am Ende unter einer hohen Haltungsstufe vermarktet werden dürfen. Das ist weder transparent für den Verbraucher noch vereinbar mit echtem Tierwohl. Hinzu kommt: Das Gesetz blendet bisher ausländische Ware komplett aus. Produkte von Tieren, deren Haltungsbedingungen völlig unklar sind, bleiben ohne jede Kennzeichnung. Bei allem Respekt: Das lässt sich wirklich niemandem erklären.

Wir brauchen generell weder überzogene Nachweispflichten noch ein Downgrading-Verbot oder eine Schaffung von Parallelstrukturen. Es gibt schon längst Systeme wie die Initiative Tierwohl oder die bekannte Haltungsformkennzeichnung, die in der Breite funktionieren. Diese Systeme werden wir jetzt klug integrieren.

(Beifall bei der CDU/CSU - Albert Stegemann (CDU/CSU): So ist es! Ganz wichtiger Punkt!)

Mit uns gibt es effiziente und bürokratiearme Lösungen für die Landwirtschaft, aber auch verständliche und verbraucherfreundliche Regelungen. 

Auch an das Thema müssen wir ran; denn ohne klare Regeln und Genehmigungsmöglichkeiten für Stallumbauten lässt sich kein Betrieb umbauen, geschweige denn verlässlich planen. Wer vom Landwirt Veränderungen verlangt, muss ihm auch die Werkzeuge dafür geben.

Ich bin dem Landwirtschaftsminister dankbar, dass er dieses Thema nun direkt mit uns angehen will. Auch aus den Ländern kam bereits Lob dafür in Ihre Richtung, sehr geehrter Herr Minister Rainer. Insofern möchte ich von dieser Stelle auch sehr deutlich machen, dass ich mich auf die Zusammenarbeit mit Ihnen, Herr Minister, aber auch mit den Kolleginnen und Kollegen im Ausschuss sehr freue. Ich bin der Meinung, dass wir hier ein wichtiges Gesetz haben, bei dem wir gleich liefern können. 

Zusammenfassend lässt sich daher sagen: In der bisherigen Ausformulierung hilft das Gesetz weder den Tieren noch den Landwirten noch den Verbrauchern. Deshalb werden wir die Einführung erst mal zeitlich auf den 1. März 2026 verschieben und in der Zwischenzeit das Ganze entsprechend unserem Koalitionsvertrag anpacken.

Danke schön.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Vizepräsident Omid Nouripour:

Vielen Dank. Herr Abgeordneter Büdenbender, es war Ihre erste Rede. Ich gratuliere Ihnen dazu. - Die letzte Rede in dieser Debatte hält Stephan Protschka für die AfD.

(Beifall bei der AfD)

Stephan Protschka (AfD): 

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Minister, Gott zum Gruße! Es gibt in Deutschland bereits funktionierende privatwirtschaftliche Tierwohlprogramme, die sich am Markt etabliert haben und nachweislich den Tierschutz verbessert haben - ganz ohne zusätzliche staatliche Bürokratie, die die Betriebe nur unnötig belastet.

Hinzu kommt, dass die geplante staatliche Kennzeichnung ausschließlich für inländisches Schweinefleisch gelten soll. Importware aus dem Ausland bleibt hingegen unberührt, obwohl sie in vielen Fällen unter deutlich niedrigeren Tierschutzstandards produziert wird. Das verzerrt definitiv den Wettbewerb und schadet erheblich unseren heimischen Landwirten, und das erhöht den wirtschaftlichen Druck, dem sie sowieso schon extrem ausgesetzt sind.

Ganz besonders bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang der Sinneswandel der Union; denn noch vor zwei Jahren haben Sie das staatliche Tierhaltungskennzeichen scharf kritisiert. Sie haben von Tierwohlkiller gesprochen, von Rohrkrepierer 

(Zuruf von der AfD)

- ja, genau -, und warnten eindringlich vor dem Wettbewerbsnachteil für die deutsche Landwirtschaft, und da haben Sie recht. 

Und heute? Heute tragen Sie das Gesetz einfach mal stillschweigend mit. Diese Kehrtwende ist nicht nur widersprüchlich; sie wirkt schlicht unglaubwürdig, sehr geehrte Damen und Herren von der Union.

(Beifall bei der AfD - Albert Stegemann (CDU/CSU): Das belegt nur, dass Sie es nicht gelesen haben!)

Apropos Haltung: Wir sprechen hier über gesetzliche Mindeststandards für den Platz, den ein Schwein im Stall mindestens haben muss. Doch wenn ich mir die aktuelle Diskussion über unseren Fraktionssaal ansehe, dann muss ich feststellen: Einem deutschen Ökoschwein steht gesetzlich mehr Platz zu als einem AfD-Abgeordneten in diesem Parlament. 

(Beifall bei der AfD - Zuruf von der SPD)

Das klingt absurd, meine Damen und Herren, aber es ist halt so.

Die gesetzlich vorgeschriebene Mindestfläche für Mastschweine in ökologischer Haltung beträgt 1,3 Quadratmeter pro Tier, dazu noch mindestens 1 Quadratmeter Auslauf, also insgesamt 2,3 Quadratmeter. Wir haben in dem uns zu Unrecht zugewiesenen Fraktionssaal 

(Zuruf des Abg. Stefan Schmidt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

hingegen nur rund 1,66 Quadratmeter pro Abgeordneten zur Verfügung. 

(Zuruf der Abg. Esther Dilcher (SPD))

Das zeigt auf sehr eindrückliche Weise, wie widersprüchlich manche Diskussionen sind: Sie sprechen von Menschenrechten und Tierrechten. Wir sind anscheinend nur Menschen zweiter Klasse. Danke dafür, liebe Union, liebe SPD, ihr seid super! So tritt man Menschenrechte mit Füßen.

(Beifall bei der AfD - Zurufe von der SPD)

Beim Tierschutz wird jeder einzelne Quadratzentimeter genau geregelt und überwacht, bei demokratischer Teilhabe offenbar nicht immer. 

Diese absurden Ungleichgewichte zeigen: Bei politischen Entscheidungen kommt es auf echte Substanz an und nicht nur auf Symbolpolitik. Die Verschiebung um ein knappes Jahr hilft den Betrieben, ist aber nur ein kleiner Trost. Wenn Sie vernünftige Politik machen wollten: Mit der AfD könnten Sie es machen, mit der SPD wird nichts dabei rauskommen. Wünsche einen schönen Tag. 

Danke schön.

(Beifall bei der AfD) 

Vizepräsident Omid Nouripour:

Herzlichen Dank. - Das war die letzte Rede in dieser Debatte. Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Damit schließe ich die Aussprache. 

Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 21/327 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es weitere Überweisungsvorschläge? - Dem ist nicht so. Dann verfahren wir wie vorgeschlagen.

 

Der folgende Berichtsteil – und damit der gesamte Stenografische Bericht der 
11. Sitzung – wird am

Dienstag, den 10.06.2025

auf der Website des Bundestages unter „Dokumente“, „Protokolle“, „Endgültige Plenarprotokolle“ veröffentlicht.